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Sind so kleine Dinge

Jan Frey beobachtet das Leben in der Bremer Vorstadt und zeichnet die Facetten im Internet nach

        

Das meinen andere:

 
 
Von Kathrin Hartmann

Neulich ist Jan Frey mit dem Bus der Linie 25 ins Gewerbegebiet des Bremer Stadtteils Osterholz gefahren und an der Ecke Hans-Bredow-Straße/Werner Steenken-Straße ausgestiegen. Da fiel ihm das große Werbeschild mit den vielen englischen Wörtern auf, das für den 'Kristall-Palast' wirbt. Ein 'XXL-Kino', eine 'Sportsbar', 'The World of Bowling', desweiteren 'Pl@yments' gibt es da drin, also 'Come and Fun'. Jan Frey fallen solche kleinen Kuriositäten nicht nur auf. Er zückt Fotoapparat, Papier und Bleistift. Und macht sich Gedanken.
 
Der 50-Jährige ist ein Beobachter des Alltäglichen, des Unsensationellen, der leisen Veränderungen in einer großen Stadt. Bremen ist dies in seinem Fall, genauer: alles, was sich in und rundum die Armensiedlung aus den zwanziger Jahren abspielt, die seit damals Klein Mexiko heißt - der exotischen Verhältnisse wegen. Man kann seine Beobachtungen und Gedanken nachlesen. Alltägliches heißt eine Kolumne auf seiner Homepage http://www.kleinmexiko.de/, die, das hat er einmal überschlagen, ausgedruckt ein mehr als 200 Seiten dickes Buck ergeben würde - mit mindestens 500 Fotos.
 
Rund 130 Ausgaben der Kolumne sind erschienen, seit Frey mit seiner Homepage im Februar vor zwei Jahren ans Netz ging. Damit wurde der erwerbslose Deutsch- und Sozialkundelehrer nicht zum ersten Mal publizistisch tätig. Kleinmexiko heißt auch die Zeitung, die er seit sieben Jahren in Eigenregie verlegt, füllt (meist mit sozialkritischen Themen aus dem Stadtteil) und verkauft.
 
Regelmäßiger, alle ein bis zwei Wochen, füllt er die unterschiedlichen Rubriken der Kolumne 'Alltägliches', die er als 'Wahrnehmungsprojekt' bezeichnet. Dem Alltag nähert sich Frey darin aus verschiedenen Perspektiven. 'Gehör finden', heißt eine Rubrik, in der Frey beschreibt, was er wahrnimmt, wenn er mit geschlossenen Augen Bus fährt oder auf einer Bank im Bahnhof sitzt. 'Wieder besucht' handelt von Orten und Plätzen, deren Veränderung er dokumentiert.


 
Überhaupt Architektur: Er ist fasziniert von Dächern, Fassaden, Hinterhöfe und Straßen. Autos parken da nicht einfach, sie glänzen 'wie Perlen auf einer Schnur'. Dann verzichtet er mal auf Zeitung und Fernseher ('sowieso seit Jahren') und schaut, wie sich das auswirkt. Oder er geht 60 Schritte in verschiedene Richtungen aus seinem Stadtteil hinaus. Und doch hält sich Frey für einen 'völlig phantasielosen Menschen'. Aber für einen, 'der das Glück hat, dass mir Menschen etwas erzählen'. Er setzt ihnen liebevolle Denkmäler, dem Ehepaar Ahlers, das nach 35 Jahren ihr Lebensmittelgeschäft aufgibt, genauso wie dem Obdachlosen im Park.
 
Die Wirklichkeit und ihre Widersprüche fassen, das treibt den Zeitungsausträger und freien Schriftsteller an. Sein Projekt ist, wie seine Zeitung, die voraussichtlich Ende April wieder erscheint, eine One-Man-Show. Das heißt, fast: Seine Lebensgefährtin Christine Cimbal-Marocke nimmt daran Teil - unter anderem mit ihrer eigenen Kolumne 'Kleine Katzenpost'. Das Medium Internet eröffnet Frey mehr Möglichkeiten. Nur da kann er seine Beobachtungen miteinander verknüpfen. Kommt zum Beispiel in einem Text die Buslinie 1 vor, dann kann man per Mausklick mehr über die Strecke erfahren, über einen eine Straße, einen Stadtteil, ein Gebäude. Frey, der sich 'nicht als Dichter, sondern Dokumentarjournalist' versteht, will damit dem Leser die Möglichkeit geben, 'meine Assoziationen nachvollziehen' und 'aus kleinen Mosaikstücken ein vernetztes Bild der Großstadt' zeichnen.
 
(Der Artikel war mit einem Bild der Bremer Stadtmusikanten illustriert, das hier aber aus urheberrechtlichen Gründen nicht abgedruckt ist, Jan Frey)

Weitere Artikel zur website :
 
TAZ Bremen, 27.09.2002
 
TAZ Bremen, 28.09.2000

Netzeitung, 15.04.2004

Computer Anzeiger Mai 2002
        
'Nur schade, dass er jetzt nicht mehr so oft in der Vorstadt mit seinen Heften in der Hand zu sehen ist. Verschwindet der Dokumentator des Alltags via Internet nun selbst aus dem Alltag? 'Nein, das Kind ist jetzt groß genug, dass ich wieder an eine gedruckte Form denken kann.' Hoffentlich, denn der Charme der Schreibmaschinen-DinA4-Blätter ist im Internet verloren gegangen.'

Bremen durch die Lupe von Hannes Krug
TAZ vom 27.09.2002
 
 
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