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Folge 11/2003, Bremen, den 15.02.2003 (Nr. 90)    1 Jahr kleinmexiko.de: Danksagung
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....So hätten es die Spürhunde der Kulturindustrie gerne, die auf der Suche nach authentischem und exotischem Menschenmaterial sind, das den vermeintlich grauen Alltag bunter werden läßt. Dazu passt die Figur des jungen, zornigen Migranten, der sich von ganz unten nach oben auf die Sonnenseite der deutschen Gesellschaft boxt. Was für eine rührende neoliberale Geschichte könnte da erzählt werden, wie sich Wut in produktives kulturelles und ökonomisches Kapital verwandelt: Eine wahre Bereicherung für die deutsche Literatur und den deutschen Film! Ein echter Gewinn für den heimischen Musikmarkt!...
Aus: Kanak Attak und Basta


15.02.2003
Selten kommt es vor, dass mich Webung so agressiv macht, dass ich nicht genau hinsehen mag: Vom Plakat eines privaten Fernsehsenders kommt ein Zeigefinger auf mich zu. Der Zeigefinger gehört zu einer goldberingten Hand. Die Hand gehört zu einem jungen Mann in Jeansjacke. Der junge Mann gehört (scheinbar) zu einer mediterranen Nation. (Ich sage scheinbar, weil es sich bei dem dargestellten Menschen weniger um ein Individuum handelt, sondern ihm virtuos stereotype Merkmale eines 'jungen, zornigen Ausländers' mediterraner Herkunft angeheftet werden, wie der Goldschmuck oder eine bestimmte Form aggressiven Auftretens; denn:) Die Augen des jungen Mannes treten erregt hervor, sein Mund ist zu einem Schrei geöffnet.
 
Auf dem Plakat steht in großen Buchstaben: 'Was guckst Du?' Das ist im Gesamtzusammenhang des Plakates eine mindestens doppeldeutige Frage: Handelt es sich um die Werbung eines Fernsehsenders. Somit könnte die Frage bedeuten:'Was guckst Du?' im Sinne von 'Welchen Sender guckst Du?' Andererseits können BetrachterInnen auch eine aggressive 'Anmache' oder die Antwort auf eine gedachte aggressive 'Anmache' gegenüber dem dargestellten Menschen darin sehen im Sinne von 'Was guckst Du?' Das Plakat hat nur wenige Tage gehangen. Als ich innerlich bereit war, es mir genauer anzusehen, hatte seine Nachfolge bereits die Werbung eines anderen Privatsenders für dessen neue Agenten-Film-Serie angetreten: Es zeigt unter anderem eine auch fast wieder karikaturenhafte, schlanke, junge Frau - mit einer Pistole in der Hand.
 
Als ich auf der vergeblichen Suche nach dem besagten Plakat durch den Stadtteil fuhr, kamen Erinnerungen in mir hoch: Vor langer Zeit trieb sich in dem Viertel, in dem ich wohnte, eine Gang von Jugendliche, fast noch Kindern, herum, die verschiedenen Einwohnern nicht wenig zusetzen. Zu den 'Köpfen' der Gang zählten zwei Brüder, die aus einer - wie ich aus zweiter Hand weiß - unglücklichen 'deutsch-türkischen' Partnerschaft kamen. Sie entsprachen äußerlich aber überhaupt nicht dem geschilderten Stereotyp. Dazu kam noch ein 'deutscher' Junge, auch aus wenig erbaulichen häuslichen Verhältnissen.
 
Die Gang suchte sich unter anderem Opfer , von denen sie intuitiv annahm, dass sie als Außenseiter von anderen Menschen wenig Beistand zu erwarten hätten: Da ich nun auch nicht gerade ein stromlinienförmiges Leben führe, hatten sie mich mit 'auf dem Zettel'.

 
[M]

 
Irgendwann verfolgten sie mich bis in einen kleinen türkischen Gemüseladen. Dort wurden sie dann aber von einem jungen Mädchen, das dort arbeitete und mich kannte, herausgeschmissen. Ich verließ irgendwann den Laden. An der nächsten Ecke wartete ein ganzer Pulk dieser Gang, um sich an mir für diese Schmach zu rächen. Ich hatte mir aber kurz vorher eine Gaspistole gekauft. Als die jungen Leute mit Drohgebärden und Flüchen auf mich zukamen, habe ich sie gezückt. Sofort liefen sie mit großem Geschrei auseinander.
 
Mit der Pistole in der Hand, ging ich langsam in Richtung meines Zuhauses. Auf dem Weg kam mir ein kleiner Junge entgegen, der mir gegenüber das aggressive Gehabe seiner 'großen Brüder' nachahmte. Ich hob die Pistole wieder. Dann kam ein Nachbar vorbei und fragte mich fassungslos, was sich hier abspiele. Die Gaspistole habe ich am selben Abend bei der Wache abgegeben.
 
Die jungen Leute haben mich seitdem in Ruhe gelassen - fast. Den einen der 'deutsch-türkischen' Brüder habe ich - ich glaube - vor zwei Jahren noch einmal wiedergetroffen: Er war inzwischen zum 'Schwiegermuttertyp' mit gewinnendem Auftreten gewandelt. Wir haben uns friedlich unterhalten; seine Freundin stand dabei.
 
Der 'deutschstämmige' Unhold von damals versuchte mich im letzten Jahr am hellerlichten Tag auf offener Straße mit Gewaltandrohung einzuschüchtern. Im ganzen Auftreten dieses blaßgesichtigen, jungen Erwachsenen lag eine seltsame Mischung zwischen Sadismus und Feigheit, die mich ein ganz klein wenig an Amon Goeth aus 'Schindlers Liste' erinnerte. Ich habe ihn einfach beiseite geschoben. Er rief mir noch nach, er werde 'wiederkommen, wenn es dunkel sei.' Er muss aber wohl gemerkt haben, wie lächerlich das war. Ich habe ihn seitdem nicht wieder gesehen.


Kampfzone Plakat (2)

Parolen (1)

Parolen (2)

Parolen (3)

Parolen (5)

Parolen (6)

Parolen (7)

Parolen (8)

Parolen (9)

Parolen (10)

Parolen (11)

Parolen (12)

Parolen (13)

Parolen (14)

Parolen (15)

Parolen kaputt

Hinweis: Die Zeitschrift EPOCHE, die ich im November letzten Jahres vorgestellt hatte, ist jetzt online unter www.epoche-online.de.

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