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Folge 20a/2003, Bremen, den 09.04.2003(Nr. 99)  1 Jahr kleinmexiko.de: Danksagung
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Arbeit und Bewegung sind das Lebenselexier von Frieder Rietzel.








Ein Motto aus Frieder Rietzels Büro: Gib dich niemals geschlagen! wie der Frosch im Schnabel des Storches.








Der Brötchendienst ist bis jetzt in Schwachhausen, Horn und Oberneuland aktiv.









Frieder Rietzel nimmt eine telefonische Bestellung entgegen.















Am Abend werden die ausgedruckten Lieferscheine tourengerecht gebündelt.










Gegen 19:00 geht die Bestellung per Fax an die Bäckerei.














Morgens um kurz vor 4:00 Uhr: Auf dem Weg in die Bäckerei wird der Lieferwagen betankt.
 
Im kleinen, penibel ordentlichen Büro von Frieder Rietzel im Bremer Stadtteil Schwachhausen hängt eine Brötchentüte unter einer kleinen Regenhaube neben der Tür. Ansonsten sieht man nichts Auffälliges: drei Schreibtische, zwei Computer, Internetanschluß, Telefon, Faxgerät, ein Stadtplan mit Markierungen, vor allem in den etwas nobleren Wohngegenden des Bremer Ostens. Auf einer Pinnwand prangt die betont aufmunternde Parole ‘Heute ist mein Tag!’ Darunter klebt ein Plakat. Ein Frosch, der vom Storch schon halb verschluckt ist, drückt diesem den Hals zu: Jamás te des por vencido! (Gib dich niemals geschlagen!) .
 
Dieser kleine Mann von fünfundsechzig Jahren, Major der Reserve und gelernter Spediteur, hat nie kapituliert: Auch nicht, als er vor fünf Jahren in Santiago de Chile von seinen Geschäftspartnern über den Tisch gezogen wurde und am Ende nach langen Jahren in Lateinamerika seine Spedition und sein Haus aufgeben mußte. Mit dem Erlös aus dem Verkauf seines gut erhaltenen Privatwagens bezahlte er das Flugticket für seine Frau, die beiden Söhne und sich selbst. In der ersten Zeit nach der Rückkehr in seine alte Heimatstadt Bremen betrieb der gebürtige Berliner als Ein-Mann-Unternehmer mit einem gebrauchten Lieferwagen einen Hol- und Bringeservice für Wäsche. Dann begann er mit dem Brötchendienst.
 
Morgens um zehn vor vier auf der Fahrt zur Großbäckerei ist Frieder Rietzel in seinem Element: Er sei ein Mensch, dessen Lebens-elexier Arbeit und Bewegung sei. Als ihn sein Bremer Lehrbetrieb nach der Ausbildung Anfang der 60ger Jahre in die Beiruter Niederlassung entsandt habe, sei er auf eigenen Wunsch mit dem Schiff von Triest über Venedig in den Libanon gefahren. Von Anfang an habe er sich als Spediteur aus Leidenschaft schwierige Aufgaben gesucht. So habe er den Transport großer Brückenteile von Österreich via Beirut nach Bagdad organisiert.
 
Jetzt packt er jeden Tag (auch sonntags) morgens ab vier Uhr in einem schmalen Korridor der Bäckerei mehrere hundert Brötchen zu Familienportionen in Tüten. Ein Aussiedler-Ehepaar aus Kasachstan, weit in den Fünfzigern, hat sich mit dem Rad in aller Herrgottsfrühe hierher gemüht. Zuverlässig und mit rührendem Eifer helfen sie ihm wie jeden Morgen eine knappe Stunde lang beim Eintüten. Auf dem Weg zum Treffpunkt mit seinen Fahrern liefert Frieder Rietzel schon einige Brötchen an Villentüren ab. Er wolle aber nicht so viel selbst fahren, schränkt er nachdenklich ein: Es solle genug Arbeit für die Mitarbeiter übrigbleiben. Der Kameruner Informatikstudent, der deutsche Schüler und der polnische Einwanderer, die heute die Touren bestreiten, seien sehr zuverlässig und motiviert. Dieser Eindruck wird durch die persönliche Begegnung einige Minuten später bestätigt.
 
Hilde Güttler-Rietzel ging 1984 mit ihrem Mann Frieder nach Costa Rica, weil er dort eine Stelle als Transport- und Verpackungsberater bekommen hatte. Es war für sie eine Rückkehr: Ihre mütterlichen Vorfahren waren 1853 über Bremen mit dem Segelschiff dorthin ausgewandert. Sie selbst wurde 1941 in dem lateinamerikanischen Land geboren. Im Dezember 1941 hatte Costa Rica Deutschland formal den Krieg erklärt. Schon im Januar 1943 musste sie das Land mit Umweg über ein texanisches Internierungslager in Richtung Deutschland wieder verlassen. Von Anfang an hat sie nach ihrer Rückkehr als Bibliothekarin an einer dortigen deutschen Schule gearbeitet und einen Teil der Brötchen für sich, ihren Mann und ihre zwei kleinen Kinder verdient. Als die Familie später nach Chile weiterzog, hat sie es genauso gehalten.
 
Umso befremdeter war sie, als man sie nach ihrer Rückkehr auf dem Arbeitsamt mitleidig-entsetzt fragte: ‘Waas, Sie müssen noch bis fünfundsechzig arbeiten?’ Für Hilde Güttler-Rietzel gehörte es zu den Alltagserfahrungen, dass viele Menschen in Costa Rica auch im Rentenalter noch arbeiten müssen, um zu überleben. Sie böten erfindungsreich Dienstleistungen an, zum Beispiel als HelferIn in Haus und Garten, oder betrieben Kleinhandel. Selbst ihr Vetter Walter als Unternehmer bringe mit fast 80 Jahren immer noch einen Teil seiner Arbeitskraft und Findigkeit in die kleine Werkstatt für feinmechanische und optische Geräte ein, die er mit seinem Sohn zusammen betreibe: Niemand könne so gut wie er Fadenkreuze aus Spinnenfäden in Theodoliten einarbeiten.
 
Findigkeit wird auch Hilde Güttler-Rietzel brauchen: Bisher hatte sie eine Stelle in einer Stadtteilbibliothek, die von einem Förderverein getragen wird. Die Zuschüsse des Arbeitsamtes für ihre Stelle sind jedoch wider Erwarten nach zwei Jahren bereits nicht mehr verlängert worden. Die Familie lebt heute im gemieteten Haus eher bescheiden. Die Tapeten sind deutlich älteren Datums. Die Möbel sind gebraucht erworben worden. Aber die Rietzels haben andere Maßstäbe eingedenk der Armut, die sie in Lateinamerika gesehen haben. Die Streitfrage, ob der Staat einem Kind, das Sozialhilfe bezieht, einen Marken-Schulranzen zahlen müsse, wirkt auf Hilde Güttler-Rietzel grotesk. Sie würde vorhandenes Geld wohl eher in den Inhalt des Ranzens, nämlich in Bücher, investieren. Bücher gibt in diesem Haus in fast allen Räumen, zum Teil bis unter die Decke. Das Zimmer ihres Sohnes Martin, der im zweiten Semester Betriebswirtschaft und internationales Management studiert, macht da keine Ausnahme.

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Sonntag, den 20.04.2003


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