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DAS ECHO
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Einblicke in fremde Alltagswelten
In Bremen produziert ein Arbeitsloser eine ungewöhnliche Zeitschrift: für Leser, nicht für Überflieger |
Das meinen andere: |
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Von Eckhard Stengel (Bremen)
Redakteur, Setzer und Vertriebschef in einem: In einem etwas heruntergekommenen Reihenhaus im ehemaligen Armenviertel 'Klein Mexiko' produziert Jan Frey die gleichnamige Zeitschrift über das Alltagsleben in Bremen. (Foto: Eckhard Stengel) Wenn Jan Frey einen altmodischen Anzug trüge, könnte man ihn fast für einen Zeugen Jehovas halten - so, wie er samstags vor dem größten Supermarkt im Bremer Steintorviertel steht und stundenlang eine unscheinbare Zeitschrift feilbietet. Aber der 47-Jährige trägt Strickjacke, und er hält den Passanten keinen 'Wachtturm' entgegen, sondern ein Druckerzeugnis mit dem rätselhaften Titel 'Klein Mexiko', eigenhändig produziert in bisher drei Ausgaben ohne festen Erscheinungsrhythmus. Das DIN-A-4-Blättchen, das mit seinem schreibmaschinenähnlichen Schrifttyp den Charme einer besseren Schülerzeitung ausstrahlt, dürfte eine der ungewöhnlichsten Zeitschriften Deutschlands sein. ' Klein Mexiko' handelt nicht von fernen Ländern, sondern vom Alltag in Bremen: von namenlosen Bürgern, denen sonst kaum einer zuschaut und zuhört. Der 'angelernte Dokumentarist und Kleinstverleger' hat offenbar eine Begabung, solche Menschen zum Reden zu bringen: 'Die erzählen mir das halt.' Jedes Heft konzentriert sich in der Regel auf ein Thema: Das Erstlingswerk von 1997 ließ Einwanderer aus der Türkei zu Wort kommen ('Ausgewandert! Angekommen?'), Nummer 2 trug den Titel 'Alte Menschen in der Vorstadt', und die jüngste Ausgabe widmet sich dem Alltag von Süchtigen ('Ausgesperrt?'). Schauen wir mal rein ins aktuelle Heft. 'Heute werde ich den Straßensozialarbeiter Jonas Pot d'Or auf seiner Tour durch Gröpelingen begleiten. Er betreut in diesem Stadtteil eine bestimmte Gruppe von Arbeitslosen: Seine Klienten sind in der Regel mehr oder minder alkoholabhängig.' So nüchtern und unaufgeregt wie dieser Vorspann liest sich dann auch großenteils Freys Protokoll über den Rundgang. Auf 13 Seiten, die er mit eigenen Fotos in teils miserabler Druckqualität illustriert, schildert er akribisch, wie sich die Alkoholiker und ihr Streetworker mit Ämtern herumschlagen und wie sich Nachbarn von ihrem Freiluft-Trinkertreff belästigt fühlen. Es folgen 17 Seiten Interviews mit Drogenbetreuern und Polizisten, und genauso ausführlich beleuchtet er anschließend die Lage von Fixern am 'Sielwall-Eck', wobei er auch wieder Anwohner und Polizisten zitiert. Alles in allem macht das 72 Seiten und manchen Zeitungsjournalisten neidisch: Hätte man doch auch mal so viel Platz! Wer 'Klein Mexiko' durchwandert, braucht langen Atem. Frey schreibt 'für Leser, nicht für Überflieger'. Dafür wird man mit einzigartigen Einblicken in sonst eher fremde Welten belohnt - und staunt manchmal über Freys Beobachtungsgabe und seinen Stil, der nicht immer nur karg-protokollarisch, sondern bisweilen fast literarisch daherkommt ('Ich blicke in ein ziemlich volles Gesicht ohne Spuren von Auszehrung'). |
Schimmert da etwa sein großes Vorbild Anton Tschechow durch ('mein Säulenheiliger'), der so eindrucksvoll das Leben im zaristischen Russland beschrieben hat?
Viereinhalb Monate lang hat Frey das Material für sein jüngstes Heft gesammelt und in seinem 14-Quadratmeter-Dachzimmerbüro aufbereitet. Er ist aber nicht nur alleiniger Text- und Fotoredakteur, sondern auch Setzer, Layouter, Anzeigenchef, Vertriebsleiter und Verleger. Nur den Druck überlässt er Profis, und beim Vertrieb der jeweils 500 bis 1000 Exemplare setzt er nicht allein auf den eigenhändigen Straßenverkauf, sondern auch auf Buchhandlungen und Tabakläden. Bei fünf Mark Verkaufspreis ist kein großes Geld zu verdienen. Das dürfte Frey auch nicht, denn er bezieht Arbeitslosenhilfe. Eigentlich ist er erwerbsloser Germanistik- und Sozialkundelehrer mit Zusatzqualifikation Betriebswirtschaft. Bei einem Job in einem Ingenieurbüro konnte er sich mit Textsatz und Seitengestaltung vertraut machen: Rüstzeug für seine aufwändige Freizeitbeschäftigung von heute. 1990 lag der schlaksige Ostfriese wegen eines (inzwischen ausgeheilten) Tumors im Krankenhaus - und fragte sich wie der Hauptmann von Köpenick: 'Wat haste jemacht mit dein Leben?'. Nein, ewig im Ingenieurbüro sitzen, das sollte es nicht sein. 'Ich werde ein bisschen von Neugier getrieben und von dem Bedürfnis, etwas komplex darzustellen und festzuhalten', sagt Frey. 'Und 'nen sozialen Knall hab' ich auch schon immer gehabt', fügt er hinzu. Es dauerte dann noch bis 1996, bis er seinen Job verlor und sich fortan ganz seinem 'Kind' widmen konnte. Leserreaktionen bekommt er selten: pro Heft ein Brief. 'Aber bei den Junkies bin ich sehr wohl gelitten', sagt er. 'Die haben das sehr respektiert, dass sich jemand im bitterkalten Winter zwölf Stunden lang dahingestellt hat, sich für ihr Leben interessiert hat und alles getreu aufgeschrieben hat.' Aber auch bei der Polizei werde er anerkannt, weil er ihre Probleme dokumentiert habe ('Leicht haben die es ja nun auch nicht'). Als Anwalt oder Sprachrohr sieht er sich aber nicht. 'Ich will das Leben in all seinen Widersprüchen so darstellen, wie es sich mir darbietet' - wobei er keinen Hehl daraus macht, dass er durch 'gewerkschaftliche Orientierung und Widerspruchsgeist' geprägt ist. Und wie kam die Zeitschrift zu ihrem Namen? Ganz einfach: Frey wohnt in einer Armensiedlung aus den Zwanziger Jahren, die in besseren Kreisen einst als 'Klein Mexiko' verspottet wurde - wegen der etwas exotischen Verhältnisse und der revolutionären Gesinnung vieler Bewohner. Frey will mit seinem Blatt dazu beitragen, dass den Lesern 'manches Fremde weniger spanisch oder klein-mexikanisch vorkommt'. Die Verlagsanschrift von 'Klein Mexiko': Diemelweg 6, 28205 Bremen, Tel.: 0421/440248, Fax: 0421/4915171. Weitere Artikel zum Projekt allgemein: taz bremen vom 20.03.2000 Weser-Kurier vom 05.09.2000 Frankfurter Rundschau vom 08.02.2001 Weser-Kurier vom 26.08.2004 TAZ Nord vom 08.02.2007 |
'Kalt und nüchtern geben seine Interviews und Fotoreportagen das Leben der so genannten Randgruppen wieder. Ein Humanist beobachtet und schreibt.'
Nüchterner Blick auf den Alltag der anderen von Monika Felsing, Weser-Kurier vom 05.09.2000 |
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