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'Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Steintor eine gesetzesfreie Zone ist.'

        
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Leseprobe aus einem zwölfseitigen Interview, das Klein Mexiko am 15.02.2000 mit Thomas Dehmer (42) führte. Er war zu jenem Zeitpunkt seit gut acht Monaten Inhaber eines großen Tabakladens am Sielwalleck, einem Drogenabhängigen-Treffpunkt in Bremen. Im Frühjahr 2001 hat Dehmer das Geschäft aufgegeben.
 
(...)
KM: Zunächst möchte ich Sie bitten, mir die Verhältnisse vor Ort noch etwas näher zu schildern. Wieviele Vorfälle gibt es in der Woche, die Sie als berichtenswert in das Tagebuch eintragen würden, das Sie über die Entwicklung hier am Eck führen.
 
Thomas Dehmer: Das ist unterschiedlich, es spielen verschiedene Faktoren mit hinein. Zum Monatsende hin, wenn sie kein Geld mehr haben, dürfte es zum Beispiel schlimmer sein. Wir können aber in der Woche von fünf bis zehn Vorfällen sprechen, die so schwerwiegend sind, dass man sich daran erinnert, zum Beispiel, dass es extreme Schlägereien der Leuten untereinander gibt oder dass ältere Leute bei solchen Schlägereien in Mitleidenschaft gezogen werden, indem sie geschubst werden. Das beeinträchtigt mich auch, und zwar nicht im Sinne von Geschäftsschädigung, sondern weil es meinem Gerechtigkeitssinn widerspricht: Ich sage mir, wie kann es angehen, dass hier ältere Leute verprügelt werden oder mit Fanta übergossen werden, wie kann es angehen, dass hier Taxis getreten und zerbeult werden, ohne dass jemand sich dafür zuständig fühlt. Aber nein, das läßt man alles so gewähren mit einer unglaublichen Toleranz den Leuten gegenüber, die man aber nirgendwo sonst in Deutschland findet. Deutschland ist ja bekanntlich das Land mit den meisten Verboten, Gesetzen und Regelungen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Steintor eine gesetzesfreie Zone ist.
 
KM: Durch welche konkreten Vorfälle fühlen Sie sich beispielsweise geschädigt?
 
T.D.: Insbesondere von älteren Kunden höre ich häufig, dass sie sich nur in den Laden trauen, wenn vorne die Straße mal frei ist. Meine Frau, eine Mitarbeiterin und ich auch sind schon angegriffen worden. Oder es gab oft schon Beinahe-Eskalationen: Das heißt, dass wir jemandem Auge in Auge gegenüberstanden und wir nur noch darauf warteten, dass die Prügelei jetzt losging. Es wurde uns gedroht mit Molotow-Cocktails, mit Mordanschlägen.
 
KM: Sind Sie persönlich von den Leuten aus der Szene bedroht worden?
 
T.D.: Ja. Bis Ende des Jahres war es extrem schlimm. Ich hatte einmal ein Gespräch mit einem der Jungs, die hier tagtäglich draußen stehen. Der war an dem Tag ganz gut drauf. Und im nächsten Augenblick steht drüben einer am Mülleimer und guckte dauernd rüber. Ich gucke ihn an und lache ihn eigentlich auch an. Da kommt er aggressiv auf mich zu und schreit mich an: ‘Wenn es nicht so hohe Strafen geben würde, dann würde ich dir jetzt so eine in die Fresse hauen’ Und dann übergoß er mich mit Bier, obwohl ich ihm eigentlich nichts anderes als ein Lächeln entgegengebracht habe. Wenn die Leute hier vorbeigehen, hört man immer wieder Beschimpfungen: ‘Du, Kapitalistenschwein!’ Man hört den Neid auf das Geschäft heraus, dass man vielleicht im gleichen Alter ist und ich bin auf der Seite des Lebens und die sind auf der anderen Seite des Lebens. Auch in Gesprächen mit Drogenabhängigen, die ich ja schon teilweise mit Namen kenne, höre ich auch oft: ‘Du hast gut reden. Guck dir doch mal an, so’n Laden, wie du hast und guck mich armes Schwein an!’ Da muss man ihnen aber auch schon mal klar machen: ‘Leute, ihr habt auch die Möglichkeit gehabt, einen anderen Weg zu wählen.’ Also, jeder geht so seinen Weg.  
(...)  

vgl. auch: Fundsachen 19

Weitere Themen des Gespräches:

Übergriffe von Treffpunkt-Besuchern
auf den Laden und Passanten

Verhältnis zur Polizei

Aktivitäten des Senats/ der Behörden

Soziale Ursachen des Problems

Kontakte zu den Treffpunkt-Besuchern

Verkauf von Alkohol an Treffpunkt-Besucher

und vieles andere mehr



Weitere Themen des Heftes:

Reportage: Sozialarbeit im Gröpelinger Park

Interview: Streetwork in der offenen Szene

Interview: Kops Gröpelingen

Reportage: Offene Szene am Sielwall

Interview: Kops im Viertel (offene Szene)
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