Wenn man Wahlwerbung und Produktwerbung in der vergangenen Wahlkampfperiode (hier vorzugsweise in Mitte und Östlicher Vorstadt) betrachtete, konnte man in den Zustand der Irritation geraten.
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Die Sphären von Geld und Macht berührten sich vielfältig und auf manchmal überraschende Weise.
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Meine Überlegungen zum Verhältnis von Parteien und Geld im vergangenen Wahlkampf sind von diesem Plakat 'angestoßen' worden. Es ruft unverblümt dazu auf, eine Partei zu wählen, weil diese Partei nicht käuflich sei. Ein solches Versprechen ist freilich nur edel, wenn die Funktionäre einer Partei zahlungskräftigen Geldgebern gegen Bares attraktive politische Gegenleistungen zu bieten haben. (Zur Glaubwürdigkeit dieser Parole siehe auch SZ vom 10.5.2014)
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Ob finanziell potente Spender Gegenleistungen, die in ihrem Sinne sind, bei einer Partei erwarten können, die mit dem Slogan '100 Prozent sozial' (rechts unten kleingedruckt) auf Stimmenfang geht? Über die möglichen Antworten auf eine solche Frage kann man verschiedener Meinung sein. Der '100-Prozent'-Slogan ist jedenfalls ein Werbeversprechen, das in der Wirtschaftswelt häufiger anzutreffen ist.
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Da wäre etwa diese Tasse, die ich im Schaufenster eines Andenkenladens in der Innenstadt gesehen habe. Auch sie verkündet ein Versprechen: Der Besitzer der Tasse bekennt sich mit jedem Anheben derselben zu 100 Prozent zu einem Fußballverein.
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Und dieses Bekenntnis ist nicht wohlfeil: Es kostet sechs Euro und fünfundneunzig Cent. Und wer verdient an solchen und ähnlichen kostenpflichtigen Bekenntnissen?
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Ein anderes 100%-Beispiel: Wer Schwierigkeiten hat, auf dem gewissen Örtchen zu Potte zu kommen, kann zu Abführmitteln greifen.
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Der Hersteller des hier beworbenen Abführtees aus Bremen verspricht dem Anwender, dass sein Produkt '100 % Natur' sei.
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Dies ist ein Farbfoto ... von der unteren Hälfte des Titelblattes einer Sonderausgabe einer Boulevard-Zeitung (Liebe LeserInnen, Sie merken, ich schreibe lieber schlechten Stil, als dass ich bestimmte Namen ausspreche). 41 Millionen Exemplare dieser Sonderausgabe wurden am Samstag vor einer bedeutenden Wahl kostenlos verteilt.
Interessieren soll uns aber nur die Anzeige einer großen nationalen Bank am unteren Ende der Titelseite.
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Die Anzeige präsentiert auf einer Art Zeitleiste das Logo der Bank eingefärbt mit den 'Farben' der Parteien, die seit 1949 in Koalitionen die Bundesregierungen stellten. Das Emblem der Bank bleibt gleich, nur die Farben der Parteien wechseln über die Jahrzenhte, eine Symbolik über deren Aussage man lange nachdenken kann. Dass es unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg für Banken nicht so gut aussah, findet in der Zeitleiste freilich keinen Niederschlag.
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Dies ist ein weiteres Beispiel der Vermischung von wirtschaftlicher und politischer Werbung. Auch hier wird rein wirtschaftliche Werbung mit Elementen politischer Werbung überlagert. Es handelt sich um eine Art Parodie politischer Werbung.
Das zentrale Motiv ist eine Ketchup-Flasche der Marke 'ja!', die statt eines markanten Kopfes aus einem Anzug herausragt. Aus den beiden erhobenen Ärmeln des Anzuges aber schauen menschliche Hände heraus, die zum 'Top'-Zeichen erhoben sind. Diese Parodie einer Siegerpose wird ergänzt durch den Slogan 'Unsere Sparpläne schmecken den Bürgern!' (Bürgerinnen sind nicht genannt.)
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Sparpläne, die von echten Politikern (im Anzug, aber nicht in Siegerpose) verkündet werden, sind in der Tat nicht beliebt. Die Botschaft des Plakats soll also sein: Eher werden von den BürgerInnen schon preiswerte Produkte angenommen, die ihnen (scheinbar oder wirklich) helfen, die Folgen von politischen Sparplänen abzufedern.
Es senkt sich über einen Teil des Plakates ein Schatten, auch gedanklich: Denn wenn man den Slogan des Plakates ernst nähme, könnte man auf die Idee kommen, dass Unternehmnen es durch den Verkauf billiger Produkte den Politikern leichter machen, 'Sparpläne' durchzusetzen. Umgekehrt würden 'Sparpläne' auch den Umsatz billiger Produkte ankurbeln.
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Auch über dieses Wahlplakat senkt sich ein Schatten, aber zunächst nur rein physikalisch. Auf den zweiten Blick ruft er auch eine inhaltliche Vorstellung hervor: Aus dem Munde des Kandidaten kommt ein Schrei und der Schrei ist ... leer. Schreiender ist da schon seine mit einer Aufforderung beschriftete Bauchbinde: 'Zweitstimme: (Es folgt der Name der Partei)'
Ganz klein gedruckt dagegen ist die Parole, unter der die Partei antritt: 'DAS WIR ENTSCHEIDET'. Inhaltlich ist der Satz schwer zu verstehen. 'DAS WIR' bedeutet für sich genommen erst einmal nur, dass das Personalpronomen 'wir' Subjekt des Satzes ist.
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Ein Personalpronomen ist aber eine grammatische Kategorie, die nicht wie eine Person eine Entscheidung fällen kann. Damit läuft die Parole ins Leere wie der vermeintliche Schrei. Alle weiteren Deutungen können nur sehr spekulativ sein.
Auch das Bild gibt keinerlei Hinweise, wer mit einem Wir gemeint sein könnte. Es ist lediglich eine männliche Person mit vollem Gesicht abgebildet, die sich wie ein Lehrer über ein Katheder leicht nach vorne beugt. Außer dem Namen der Partei verkündet das Plakat lediglich den Namen der abgebildeten Person und das auch noch in der größten Schrift. Kein 'Wir' weit und breit.
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Auch dieses Wahlplakat postuliert indirekt ein 'Wir' durch die Parole 'Gemeinsam erfolgreich'. Es zeigt tatsächlich mehrere Personen, von denen aber nur eine Frau deutlich abgebildet ist. Diese Frau ist die zur Wahl stehende Politikerin. Sie scheint sich mit einer Person zu unterhalten, von der nur ein Teil eines Armes verschwommen zu sehen ist. Die übrigen Personen, die ein 'Gemeinsam' oder ein 'Wir' konstituieren könnten, sind nur unscharf abgebildete Gestalten, also Staffage.
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Eine hervorgehobene Hauptperson mit Staffage bildet aber kein 'Gemeinsam' und kein 'Wir'. Im Gegenteil: Die Staffage betont nur die Bedeutung einer nach vorne geschobenen Einzelperson. Da der Name der Einzelperson nicht einmal genannt wird, wird die Behauptung aufgestellt, diese Person sei so bekannt, dass man ihren Namen nicht einmal nennen müsse. Vor diesem Vordergrund werden die unscharf dargestellten Personen noch bedeutungsloser, noch mehr Staffage. Kein 'Wir' nirgends.
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Dieser Ausschnitt aus einem unscharfen Foto zeigt einen Teil eines Wahlplakats: eine Person und den Hauptslogan. Der Rest war in der Originalaufnahme durch den passierenden Verkehr verdeckt. Ich habe das Foto dennoch verwendet, weil selbst der Ausschnitt einiges an Überlegungen ermöglicht.
Da wäre zunächst die dargestellte Person, ein Kleinkind. Und der Slogan: 'Meine Mudda wird Chef.' Beides passt nicht recht zusammen, da der Slogan der Sprache der Jugendlichen entlehnt ist, in der ernsthafte und scherzhafte Schmähungen gelegentlich z.B. mit 'Deine Mudda' eingeleitet werden.
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Warum ein 'niedliches' Kleinkind auserkoren ist, um eine Parole in der Sprache von Jugendlichen zu verbreiten, darüber möchte ich nicht so gerne nachdenken. Auch in sich 'hakelt' der Slogan: Die 'Mudda' ist ein Femininum, der Chef aber ein Maskulinum. Ob diese sprachliche Inkongruenz politisch auf der Höhe der Zeit ist, darüber kann man verschiedener Meinung sein.
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Vgl. auch:
Plakate mit Politikerporträts in Bremen
Bitte werfen Sie auch einen Blick auf Charlie Dittmeiers Bericht und Fotoserie Proteste gegen Wahlbetrug bei landesweiten Wahlen in Kambodscha.
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Freitag, den 18.10.2013
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