AUF ZUM NIEDER MIT DEM WEG!
Parole in einem Hörsaal eines soziologischen Instituts einer großen deutschen Universität (ca. 1975)
Das obige Bild zeigt ein Graffito, das ich Mitte November auf einer Hauswand in Hastedt entdeckt habe. Die Parole 'DIE STRASSE FR....' war in roter Farbe gesprüht. Die 'N... BOYS' hatten sich in schwarzer Farbe verewigt. Sie kennen mich, liebe Leserinnen und Leser. Ich habe den SprayerInnen erst einmal 'die Farbe weggenommen' und auf ein nüchternes Schwarz-Weiß umgeschaltet.
Nach dieser rabiaten Ausnüchterung des Untersuchungsgegenstandes gilt es ihn einzugrenzen: Ob die UrheberInnen der Parole 'DIE STRASSE FR ....' etwas mit den 'N... BOYS' zu tun haben, ist letztlich schwer zu beweisen oder zu widerlegen. Aber es gibt ein paar Indizien. Die Parole ist um den Tag 'N... BOYS' herumgeschrieben. Also waren die 'N... BOYS' wohl zuerst da und haben mit der Parole nichts zu tun. Schriftstil- und farbe von Parole und Tag sind sehr unterschiedlich, stammen also wahrscheinlich von unterschiedlichen Leuten. Wer die 'N... BOYS' sind, konnte ich nicht herausbekommen. Es handelt sich wohl um eine Sprayer-Gruppe, die an vielen Stellen ihre Tags hinterläßt. Ich konzentriere mich also auf die Parole, der man ja eine Aussage entlocken kann.
Die Forderung, man möge die ganze Straße frei halten für eine politische Gruppierung von jungen Leuten, wirkt ein bißchen - nun sagen wir - unfreiwillig erheiternd und zugleich bedrückend. Sie ist für mich erheiternd, weil ich in den letzten Jahrzehnten nicht mitbekommen habe, dass eine Organisation besagten Namens geschafft haben sollte, so viele Jugendliche in Marsch zu setzen, dass sie sich allen Ernstes 'die Straße' kämpferisch reservieren konnte. In der vermutlich fatalen Selbstüberschätzung liegt aber auch etwas Bedrückendes: Erstens ist Selbstüberschätzung meistens ein Zeichen von uneingestandener Ohnmacht.
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Zweitens ist Ohnmacht oft ein politischer Zustand, der nichts Gutes gebiert. Eine Gesellschaft, die junge Menschen mit Antrieb zur nicht nur reformatorischen Veränderungen in der Isolation und Machtlosigkeit beläßt, eine solche Gesellschaft hat ein Eingliederungs- und Entwicklungsproblem.
Und dieses Problem ist auch in der Parole erkennbar. Die Parole enthält kein Tätigkeitswort: Die Aussage der Parole beschränkt sich darauf, für die Jugendorganisation der 'eigenen Farbe' die Möglichkeit zum widerstandslosen Durchmarsch zu fordern. Was während des Marsches und an seinem Ziel getan werden soll, davon ist nicht die Rede. Aus der Position der Ohnmacht heraus wird vor allem Macht gefordert, die alle anderen Postionen 'beiseitefegt'. Dass Marginalisierung letztlich auch inhaltliche Impulse verschluckt, die der überwältigenden Mehrheitsgesellschaft wenigstens zu denken geben sollten, ist schade.
Wenn man nun im Netz nach der besprochenen Parole forscht, wird man alsbald auf viele, kleine Gruppen eines bestimmten politischen Spektrums stoßen. Wer ein wenig Erfahrung mit der 'Dynamik' solcher Gruppen hat, wird wenigstens ahnen können, dass ein nicht geringer Teil ihrer Kräfte durch den Versuch gebunden wird, jeweils eine oder mehrere dieser anderen kleinen Gruppem als Vertreter einer grundfalschen Interpretation der vermeintlich verbindenden Lehren zu 'entlarven'. Wenn die Mehrheitsgesellschaft nicht zuhört und antwortet, wird die benachbarte Kleinstgruppe in heiße Diskussionen über den vermeintlich einzig wahren Weg verwickelt und am Ende womöglich zum 'Hauptfeind' erklärt. So hat die Mehrheitsgesellschaft ihre Ruhe, die für sie aber lähmend und unglückbringend sein kann.
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