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Folge 38a/2002, Bremen, den 26.06.2002           Immer noch sehenswert: 'Linie 1'

!! Nächste Ausgabe wegen dieses 'Spezials' erst am 03.07.02!!

Das Klangmobil (1)
 

        
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In der Schwachhausener Emmastraße lebt ein Künstler, der ungewöhnliche Skulpturen baut. Er nennt sie 'konzertierbare Klangobjekte'

 
Klein Mexiko hat ihn in seiner Wohnung und in seinem Atelier besucht, um mehr über die Person des Künstlers und seine Werke zu erfahren.

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In der gemütlichen Küche hat Dietrich Wildgrube ein Lichtobjekt (links) aufgestellt. Solche fast schwebenden Skulpturen baut er in Serie.



















Die Partituren, in denen die Kompositionen für die Klangobjekte aufgezeichnet sind, sind nicht in herkömmlicher Notenschrift verfasst. Sie sind vielmehr schriftliche Anweisungen an die Spieler.




















Dietrich Wildgrube hat seinen Klangkörper in seinem (ungeheizten!) Atelier im zweiten Stock eines ehemaligen Industriegebäudes an der Louis-Krages-Strasse in Gröpelingen versammelt.
 
Nachdem wir uns bei einer Tasse Kaffee in der Küche niedergelassen haben, erzählt Dietrich Wildgrube bereitwillig aus seinem Leben: Er wurde 1943 in Berlin geboren. Nach Abschluß der Volksschule erlernte er den Beruf des Betonbauers. Über 20 Jahre hat er hauptberuflich oder als Gelegenheitsarbeiter auf dem Bau gearbeitet. Er hat in der Kolonne beispielsweise beim Bau von Brücken und Sperrwerken im Akkord Stahl verlegt Der Akkord wurde nach verlegter Tonne Eisen berechnet. Nach eigener Aussage rührt aus dieser Zeit seine Zähigkeit und Belastbarkeit. Diese Eigenschaften haben ihm auch geholfen, andere Gelegenheitsarbeiten wie etwa Klaviertransporte auszuführen. Im Laufe seines Lebens hat er in vielen Berufen und Jobs gearbeitet. Er war Angestellter im Buchgroßhandel, Einzelhandelskaufmann, Versicherungskaufmann und Staubsaugervertreter. Auch für andere Menschen hat er den Akkord ausgerechnet und festgesetzt, in einem Unternehmen der Elektroindustrie. Seit Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts hat er hauptsächlich nur noch als 'Tagelöhner' gearbeitet. In dieser Zeit trat ein Wandel in seiner 'zweiten' Biografie, der künstlerischen Entwicklung, ein. Seit der Pubertät hatte er immer wieder geschrieben, aber nur eine Veröffentlichung - im Selbstverlag - gewagt: einen Gedichtband aus dem Jahre 1996 mit dem schönen Titel 'Flugübungen'. Der 'unglückliche' Schriftsteller Dietrich Wildgrube entdeckte Ende der 70ger Jahre die Musik, insbesondere das Singen und Komponieren als heilsame Ausdrucksform. In jener Zeit lebte er in einer Gruppe von Menschen, die sieben Zimmer in einem Industriegebäude in der Kap-Horn-Straße in Gröpelingen bewohnte. In diesem Gebäude gab es auch einen großen Raum, in dem Mitglieder der Gruppe Punkkonzerte veranstalteten. In den 80ger Jahren entstanden dann die ersten Kompositionen, die dem Bereich der 'Neuen Musik' zuzuordnen sind. Ende jenes Jahrzehnts wurde auf einer Breminale die Komposition 'Engel der Stadt' aufgeführt, eine Vertonung von Gedichten des Bremer Autors Bernd Jäger. Inzwischen hatte sich Wildgrube auch der bildenden Kunst zugewandt. Er hatte vorgefundene (Metall)teile zu Kollagen verarbeitet, in deren Konzeption und Titeln sich die spätere Verbindung von Skulptur und Klang bisweilen schon andeutet. So kann man beim 'Kinderradiodampfmobil' aus dem Jahre 1986 Saiten zupfen, die aus einem Eierschneider stammen. Ab 1988 baut Wildgrube Skulpturen, die mit gestimmten klangerzeugenden Elementen wie Saiten, Zungen und Röhren versehen sind. Wildgrube hat für diese 'konzertierbaren Klangobjekte' Kompositionen geschrieben und aufgeführt. Er arbeitet nicht mit professionellen Musikern. Seine Frau, sein neunjähriger Sohn, und zwei FreundInnen der Famile haben auf der letzten Breminale die Skulpturen zum Klingen gebracht. Er führt mir einen Ausschnitt von der Aufnahme dieser 'Klangperformance' vor. Was ich höre, erinnert mich an Wal- und Insektengesänge. Wie in der Natur ist auch hier eine Zwiesprache und ein Wechselgesang herauszuhören. Die zugrundeliegenden Partituren enthalten keine konventionelle Notenschrift. Es sind vielmehr schriftliche Anweisungen an die Spieler wie die folgende: 'Dietrich spielt eine 4-Tonfolge auf dem Klangbogen. Ruhig-meditativ werden die Töne gestrichen. Nach der 4-Tonfolge erklingt einmal der Bass. Karin spielt den Bass. Nach dem Erklingen der 4 Töne sollte der Bass einmal auf einer Saite angezupft werden. Den Ton trocken, leise klingen lassen ohne Schwingen.' Die konzertierbaren Klangobjekte haben mit herkömmlichen Instrumenten so wenig Ähnlichkeit wie die dazugehörigen Partituren mit der gewöhnlichen Notensprache. Um diese Klangobjekte sehen und hören zu können, müssen wir quer durch die Stadt in die Louis-Krages-Strasse in Gröpelingen fahren. Dort hat Dietrich Wildgrube in seinem (ungeheizten!) Atelier im zweiten Stock eines ehemaligen Industriegebäudes seinen 'Klangkörper' versammelt.
 
 
   
 
 
 

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