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Ich sagte es schon: Das eigentliche Thema dieser Website ist die Erforschung der Beschaffenheit von Wahrnemhmung. Irgendwann im Februar ist mir aufgefallen, dass ich meine, mehr Menschen als früher zu sehen, die in Abfalltonnen nach Verwertbarem suchen. Also habe ich mich aufgemacht, um mir ein Bild davon zu machen, wieviel Spuren von Armut ich in der Stadt registrieren kann.
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Sehr schnell ist mir klar geworden, dass ich diese Spuren nur sehr begrenzt fotografisch festhalten kann, ohne arme Menschen bloßzustellen. Also muss ich auch viel mit Worten beschreiben, was ich gesehen habe. Aus dieser Einsicht ist das folgende Tagebuch entstanden, dessen ersten Teil ich vor zwei Wochen veröffentlicht habe. Die Fotos illustrieren nicht immer den darunter stehenden Text.
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Arm, einsam und gebeugt |
27.2.2014
Der Weser-Kurier weiß auf der Titelseite zu vermelden: ''Bremen tanzt zum Nummer-Eins-Hit ''Happy'' von Pharrell Williams: Unter anderem auf dem Bahnhofsplatz haben sich Paare von der Fröhlichkeit dieses Liedes anstecken und beim Tanz filmen lassen.'' (vgl. Notiz vom 24.2.2014)
28.2.2014
Ich komme an dem Kloster vorbei, von dem die Handwerker mir erzählt haben.
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Zwei Männer in verschlissener Kleidung stehen auf dem Bürgersteig gegenüber dem Eingang. Sie schauen erwartungsvoll in Richtung des Tors. Ich frage sie, warum sie so gebannt zum Kloster schauen. Einer sagt: 'Wir warten auf jemanden.' Schließlich kommt eine Schwester heraus und gibt jedem der beiden Männern eine mit Folie abgedeckte Plastikterrine. Die Männer bedanken sich überschwänglich in einer slavischen Sprache, wohl in Polnisch.
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Tonnen für Verpackungsmaterial, Wertstoffe, Papier und Essensreste am Schuppen 1 |
Ich fahre in die Überseestadt. Ich sehe, dass auf einer Rampe des Schuppens ein Mann mit einem Fahrrad fährt, das mit einem gelben Sack und anderen Tüten beladen ist. Der Mann selbst trägt verschmutzte Kleidung. Ich frage einen Mann, der in einer Autowerkstatt an der Rampe arbeitet, ob ihm schon Müllsammler in der Überseestadt aufgefallen seien. Er antwortet, dass er gelegentlich Menschen gesehen habe, die einer solchen Tätigkeit nachgingen. Er nimmt aber an, dass sie woh eher abends ihre Runden drehen würden.
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Als ich weiterfahre, entdecke ich an der Spitze des Schuppens große Müll- und Wertstofftonnen sowie Tonnen für Speisereste. Wer diese Tonnen befüllt, kann ich nicht erkennen. Im Schuppen gibt es zahlreiche Firmen, größere und kleinere Gastonomiebetriebe. Als ich in die City zurückfahre, sehe ich einen Mannn, mit dem ich mich ein paar Wochen zuvor unterhalten habe. Er sammelte am Rande der Überseestadt Flaschen. Damals erzählte er mir, dass bald bestimmte Dinge passieren werden, die ihn aus seiner mißlichen Lage befreien werden.
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Bettler mit Hund in der City
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Wenig später sehe ich vor einem großem Lebensmittelgeschäft eine jungen Bettler. Vor diesem Laden habe ich auch noch nie einen Bettler gesehen. Ich spreche ihn an. Der Mann spricht wenig Deutsch , aber gut Englisch. Er kommt aus Rumänien und ist Malergeselle. Er ist nach Deutschland gekommen, weil er hofft, hier für seine Arbeit besser bezahlt zu werden. Er hat gerade in Hamburg einen Monat gearbeitet und 800 Euro verdient. Jetzt ist er wohl vorübergehend bei einem Landsmann in Bremen untergeschlüpft. Abends frage ich einen Nachbarn, der Altgeselle in einem Malerbetrieb ist, was ein junger Geselle heute für einen Nettolohn erzielen kann.
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Er sagt mir, dass das Gehalt zwischen 1000 und 1200 Euro liegen kann.
vgl.auch:
Obdachlose Rumänen in Frankfurt
Ausbeutung von Arbeitsmigranten
1.3.2014
Ich sehe vormittags an einer Bushaltestelle in der City einen der beiden Männer wieder, die von der Nonne Mittagessen bekommen haben. Er ist sehr betrunken und pöbelt wartende Fahrgäste an.
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City: Habseligkeiten eines Bettlers
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5.3.2014
Ich erkenne in der Vorstadt den Mann wieder, den ich am 24.2. mit Rollator in der Einkaufszone gesehen habe und von dem ich weiß, dass er dort Obdachlosenzeitungen verkauft. Ich spreche ihn an. Mit etwas schleppender Stimme sagt er mir, dass er erst in zwei Tagen wieder Zeitungen bekomme, die er verkaufen könne. Auch jetzt benutzt er einen Rollator und führt auch noch einen Handstock mit. Nun, da ich ihn aus der Nähe ansehen kann, erkenne ich, dass ich mich am 24.2. getäuscht habe. Seine Kleidung ist zwar etwas unkonventionell, aber gepflegt. Ich nehme auch wahr, dass ihm - wohl krankheitsbedingt -alles sehr fällt, sei es das Laufen oder auch das Sprechen. Später komme ich noch einmal in die Einkaufszone an 'seinen Platz'. Und finde den Mann dort wieder. Er steht mitten auf der Straße über seinen Stock gebeugt und mit einem Pappbecher in der Hand, den er dem Publikum entgegenhält.
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Eine Passantin tritt an ihn heran. Die beide führen ein freundliches Gespräch. Ich gehe weiter und erkenne einen Mann wieder, den ich am 24.2. in der City beim Flaschensammeln beobachtet habe. Er sitzt auf dem Boden und bettelt.
6.3.2014
In einem Bio-Supermarkt in der Vorstadt sehe ich den ''Rollator-Mann'' wieder, der früher öfter vor einem Verbrauchermarkt bettelte. An einem Automaten löst er Pfandflaschen ein. Ohne etwas zu kaufen, löst er den Bon an der Kasse ein. Später sehe ich, wie er aus einem nahegelegenen Lebensmitteldiscounter kommt.
8.3.2014
Ich sehe das erste Mal, wie ein jüngerer Mann in der citynahen Vorstadt Leute auf dem Bürgersteig anbettelt, indem er ihnen einen Behindertenausweis entgegenhält. |
Hinter dem Neuen Rathaus: Habseligkeiten eines Bettlers oder einer Bettlerin
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20.3.2014
In dem Bereich, in dem die Sögestraße in den Schüsselkorb einmündet, sehe ich eine skurrile Gestalt, die ich kaum näher anschauen mag: Ein Mann steht dort auf dem Gehweg. Er trägt ein Jacket und eine Hose. Ein Hosenbein ist hochgeschoben. Ein großer Verband wird sichtbar, der mit Blut und Eiter durchtränkt zu sein scheint. Ein Bein zittert dauernd. Auch dieser Mann scheint zu versuchen, Almosen einzusammeln, an einem Ort, an dem ich solche Aktivitäten vorher noch nie wahrgenommen habe.
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In der Sögestraße sind zwar etliche Bettler aktiv, aber hier fällt mir nichts Ungewöhnliches auf. Als ich die Bankbaustelle hinter dem Neuen Rathaus erreiche, sehe ich, dass vor den Rathausmauern die Habseligkeiten eines Bettlers oder einer Bettlerin liegen. Derartiges hatte ich an dem exponierten Platz bisher nicht gesehen: Die extreme Armut steht vor den Mauern des Rathauses. |
Vgl. auch:
Begegnungen 2:Bettler unter sich
Mehr!! (9) zum Thema Armut und Sucht
Mehr!! (10) zum Thema Armut
Mehr!! (11) zum Thema Armut
Mehr!! (12)
Mehr!! (13)
Bitte werfen Sie auch einen Blick auf Charlie Dittmeiers Bericht über das Wasserfest in Phnom Penh, bei dem auch Bettler (drittes Bild von oben) auf Gaben hoffen.
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Nächste Folge 'Alltag in Bremen'
Sonntag, den 4.5.2014
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