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Nr. 15/2011, Bremen, den 22.8.2011, Nr. 334,   14 Jahre Jan Frey, Verlag: Danksagung

Ein Plakat zum Schulbeginn vor einer Apotheke


        
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ALLTAG IN BREMEN
FOLGE 015-11:
EIN PLAKAT ZUM SCHULBEGINN VOR EINER APOTHEKE



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Ein Plakat vor einer Apotheke
 
'Gesundheit ist nicht Alles, aber ohne Gesundheit ist Alles Nichts.'
Arthur Schopenhauer

 
Dass ich bestimmte Erscheinungen bevorzugt wahrnehme, hängt wie bei jedem Menschen auch mit vorangegangenen Erfahrungen zusammen. Die Tatsache, dass mir das oben abgebildete Plakat mit dem ungewöhnlichen Kompositum 'schulstartgesund' und der Werbung für Trinkflaschen aufgefallen ist, läßt sich gleich mit einer Reihe von Vorgeschichten verbinden.
 
Man sagt mir nach, dass meine größte Sorge bei meiner Einschulung gewesen sei, dass ich während des Aufenthaltes in der Schule genug zu trinken bekommen würde. Während meines Germanistikstudiums habe ich mich ausführlich mit der Analyse adjektivischer Komposita befasst. Schließlich fiel mir beim Anblick des Plakates eine Szene ein, die ich vor einigen Wochen im Wartezimmer eines Arztes miterleben durfte. Dort klagte eine Mutter einer anderen ausführlich ihr Leid: Ihr Sohn sei trotz größter Bemühungen in ein anderes als das gewünschte Gymnasium aufgenommen worden, das innenstadtnah und am Rande eines Stadtteils mit vielen begüterten BewohnerInnen liegt und als eine der ersten Adressen unter den weiterbildenden Schulen in Bremen gilt. Dann schilderte sie ausführlich auf welchen Wege sie nun dennoch zu erreichen versuche, dass das Kind in jenes vermeintliche Elitegymnasium aufgenommen wird.
 
Nach dieser umständlichen Offenlegung des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Vorgeschichte nun zum Gegenstand der Wahrnehmung selbst: Das Plakat ist hier nicht ganz wiedergegeben. Am oberen Rand prangt werbewirksam ein Markenname, der meines Ermessens nach nicht viel zum Verstehen des Ganzen beiträgt und deshalb 'abgeschnitten' worden ist. Interessant ist aber der Slogan, der sich unterhalb des grafischen Markenlogos befindet: ‚Wir wollen Sie gesund..' Das ‚Wir' bezieht sich offenbar auf die Inhaber der Markenrechte und Anbieter der beworbenen Produkte. Dann folgt das Modalverb ‚wollen'. Modalverben ziehen in den meisten Fällen einen Infinitiv nach sich. Das Tun oder Sein des Sujekts, das in diesem Infinitiv ausgedrückt wird, wird durch das Modalverb ‚modifiziert' in z.B. Richtung ‚können, wollen, sollen' usw. Der erwähnte Infinitiv kann fehlen, wird dann aber meistens stillschweigend mitgedacht: ‚Ich kann Englisch (sprechen, lesen und schreiben).' Der Satz ‚Wir wollen Sie gesund.' ruft diese stillschweigende Ergänzung nicht unbedingt sofort hervor, macht die LeserInnen deshalb stutzig und hat somit deren Aufmerksamkeit schon geweckt.
 
Freilich birgt diese Werbestrategie auch Risiken. Wenn die LeserInnen nicht sofort einen Infinitiv ergänzen wie ‚Wir wollen Sie gesund machen.', arbeitet der Satz weiter im Kopf: Wollen die mich auch, wenn ich nicht gesund bin? Warum wird in dem Satz das ‚Wollen' so betont? Diese Fragen habe ich mir jedenfalls sofort gestellt.
 
Das zentrale werbliche Stilmittel dieses Plakats arbeitet ebenfalls mit einer Art Regelbruch, um Aufmerksamkeit zu erzeugen - mit nicht minder großen kommunikativen Risiken: Das Adjektiv ‚schulstartgesund' ist ein dreiteiliges, sogenanntes Determinativkompositum aus den Wörter ‚Schul(e)', ‚Start' und ‚gesund'. In der vorliegenden Form des Determinativkompositums wird das adjetivische Grundwort durch den ersten Bestandteil ‚Schulstart', der seinerseits ein Kompositum aus ‚Schul(e)', und ‚Start' ist, näher bestimmt (determiniert). Diese näheren Bestimmungen haben immer einen logische Unterton: ‚Exportwichtig' hat einen finalen Unterton ‚wichtig zum Zweck des Exports' ‚Grippekrank' hat einen kausalen Unterton, ‚krank aufgrund von Grippe'
 
Schulstartgesund' hat einen finalen Unterton ‚gesund für den Schulstart'. Nun ist Gesundheit aber ein zweckfreier universeller Wert, denn man ist nicht gesund zu irgendeinem Zweck, sondern um des gesunden Lebens selbst willen, das nach Schopenhauer ein allumfasssender Wert ist. Diese allgemein empfundene Zweckfreiheit des Gesund-Seins wird aber mit diesem Kompositum aufgehoben.
 
Damit wird zwar einerseits Aufmerksamkeit erzielt, weil ein gängiger Sprachgebrauch durchbrochen, gleichzeitig aber auch eine gängige Wertsetzung in Frage gestellt wird. Das Gesund-Sein, das meistens sprachlich als zweckfreier Wert formuliert wurde, wird hier explizit verbal für gesellschaftliche Zwecke in Dienst genommen. Der ‚Ernst des Lebens', der bis dato oft noch halb spielerisch begann, wird in dieser Art Werbesprache ein wenig mehr der Beschönigungen entkleidet.
 
Freilich wird hier nicht so weit gegangen, dass immer noch positiv belegte Wort ‚gesund' durch das ungleich rüdere Wort ‚fit' zu ersetzen, das über seine englische Bedeutung ‚passen' und ‚anpassen' in einem Wort ‚schulstartfit' viel mehr Bedeutungsanteile von ‚Zweck', ‚Zweckmäßigkeit' und ;Angepasst-Sein' übermittelt hätte. So wirkt das Wort ‚schulstartgesund' auf mich wie eine Mischung aus verkaufsfördernder, panikmachender Frage (man beachte das Fragezeichen hinter dem Adjektiv) und ebenfalls verkaufsfördernder, schönfärberischer Formulierung: Das Plakat schmückt sich für mein Empfinden mit der menschenfreundlichen Sorge um den Erhalt des universellen Wertes des Gesundseins und machen den Eltern gleichzeitg unterschwellig ein schlechtes Gewissen, wenn sie ebenjene angeblich zweckfreie Gesundheit nicht für ihr Kind im Sinne von Schultauglichkeit sicherstellen, indem sie die beworbenen Produkte kaufen. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Slogan ‚Wir wollen Sie gesund.' vielleicht auch noch einen anderen Hintersinn.
 
Alles überinterpretiert? Mag sein. Entscheidend ist, was Ihnen Ihr Verstand und Gefühl sagt.

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Bitte lesen Sie auch Charlie Dittmeiers Bericht über ein kleines Mädchen in Kambodscha, das Müll sammelt statt zur Schule zu gehen. Der Bericht datiert vom 29. April 2011. Der Link führt auf die letzte Notiz des Jahres. Bitte nach unten scrollen!

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