Die Begebenheit, die ich hier erzählen werde, habe ich ein ganz klein wenig verfremdet. Ich möchte nicht, dass die Frau, die sie mir erzählt hat, und die anderen Personen, die noch eine Rolle spielen, erkennbar sind. Die Frau ist schon lange Postbotin in einem gutbürgerlichen Bezirk.
Das Gutbürgerliche des Bezirkes leitet sich aus dem Stand der Bewohnerinnen und Bewohner ab. Sie sind zu einem nicht geringen Teil ehrbare Mediziner, Juristen, Lehrer und Manager. Die Postbotin kennt inzwischen viele der BewohnerInnen nicht nur vom Namen, sondern auch von der Person her. Mit vielen hat sie trotz der Eile, in der sie immer ist, schon mehr als einmal ein paar Worte gewechselt. Ihre Arbeit wird auch immer einmal wieder durch nicht kleinliches Trinkgeld gewürdigt.
Neulich nun war in einer der Straßen ihres Bezirkes an einem Sonntag ein Sommer-Straßenfest, zu dem mit einem großen Transparent eingeladen wurde. Für sie war das Anlaß, außerhalb der Dienstzeit einmal an einem Nachmittag durch diese Straße zu flanieren. Als sie dort eintraf, saßen die BewohnerInnen dicht gedrängt an einem langen Tisch, ließen sich Kaffee und Kuchen schmecken und schwatzten miteinander. Sie begrüßte jemanden, den sie kannte, und sprach kurz mit ihm. Dann ging sie weiter.
Am Ende der Straße traf sie an einem etwas abgelegenen, kleinen 'Katzentisch' eine Frau, die in der Nachbarstraße wohnt und ihr auch bekannt war. Diese Frau stellte der Postbotin eine eigentlich harmlose Frage, die 'unsere Heldin' nun aber schwer ins Nachdenken brachte: 'Frau XY, haben Sie denn auch schon Kaffee getrunken?'
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Zurückhaltend wie sie nun einmal war, hatte 'unsere Heldin' sich nicht einfach an den Tisch gesetzt und zugelangt. Das hätte sie nur getan, wenn irgendjemand, den sie kannte, sie dazu eingeladen hätte. Aber eine Einladung hatte niemand ausgesprochen und so war sie weitergegangen.
Nach der Frage jener Frau war aber die Frage in das Herz der Postbotin gelegt, warum sie niemand eingeladen hatte, sich zu der Gesellschaft zu setzen. Denn: Eigentlich war sie nur der Einladung gefolgt, die auf jenem großen Transparent ausgesprochen worden war. Und: Eine Fremde war sie ja auch nicht. Eine Antwort auf die Frage konnte sie freilich auch nicht finden. Für eine Erklärung des Vorgangs hätte sie in die Köpfe der Menschen schauen müssen. Was bekanntlich schwierig ist. Aber eine Idee kam ihr denn doch. Sie stellte sich vor, dass sie in Frankreich oder Italien als Postbotin auf ein solches Fest gekommen wäre. Bei dieser Vorstellung erschien es ihr wahrscheinlicher, dass jemand gerufen hätte: 'Komm, Maria (oder Francesca oder Francoise), setz dich zu uns!' Vielleicht war diese Phantasie eine Idealisierung des Südens, vielleicht aber auch nicht.
Das Thema jedenfalls scheint auch ihre Träume beeinflusst zu haben. Sie habe – so erzählte sie mir – neulich geträumt, dass sie in einem Café gewesen sei, in dem es drei Portionsgrößen Kaffee gegeben habe. Sie habe sich nur die kleinste Größe, eine flache Petrischale mit einer Kaffelache, leisten können. Kaum habe sie die Schale in der Hand gehabt, habe man sie auch daraufhingewiesen, dass nur noch ein abgelegener Platz frei sei. Alle anderen Stühle seien für Frau Merkel reserviert gewesen. Wakan!
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