Ich sagte es schon: Das eigentliche Thema dieser Website ist die Erforschung der Beschaffenheit von Wahrnehmung. Ein besonderes Feld der Alltagswelt ist der dauernde Kampf der allgegenwärtigen Werbung um menschliche Wahrnehmung.
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Damit ihre Werbung wahrgenommen wird, versuchen die Werbungsmacher immer wieder Grenzen zu überschreiten, die vorher galten. Mit solchen, hier eher unspektakulären 'Grenzüberschreitungen' beschäftigt sich diese Kolumne.
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Praxisschild als 'Skulptur'
[M]: Name der Ärztin verpixelt
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Manchmal fahre ich mit dem Rad in der Morgendämmerung ziellos herum. Gelegentlich trifft mich dann ein Schock. So zum Beispiel an jenem Morgen, als mich diese Leuchtreklame einer Zahnarztpraxis unvermittelt anstrahlte. Allein die Größe dieser 'Skulptur', die mich vielleicht überragen mag, überraschte mich. Die Leuchtschrift und das blendend helle, große Zahnsymbol taten ein übriges. Ich fragte mich: 'Warum dieser Aufwand, der einer mittelgroßen Firma würdig wäre?'
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Fürchtet die Ärztin, man könne ihre Praxis verfehlen? Spekuliert sie auf schmerzleidende Laufkundschaft, die durch die Reklame von der Straße in die Praxis gelockt werden könnte? Ist die Skulptur gar ein Statussymbol, das zeigt ... ? Ja, was soll es zeigen? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass unser Dorfzahnarzt Dr. W. ein unscheinbares Praxisschild an der Eckes seines Hauses hatte. Die Leute fanden trotzdem den Weg zu ihm.
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Gemeinsames Werbeplakat eines Fußballvereins, eines Kaufhauses und einer Modefirma
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Dieses Plakat habe ich auch an jenem Morgen fotografiert, an dem ich die Praxis-Leuchtreklame entdeckte. Die Tatsache, dass sich auf diesem Plakat vermutlich hochbezahlte Profi-Fußballer als Mode-Modells präsentierten, hat mich nicht schockiert, sondern nur ein wenig überrascht. Ein Fußball-Trainer ein so fußball-nahes Produkt wie Bier bewirbt, war für mich schon vor einem dutzend Jahren Anlaß für eine Fundsachen-Kolumne. Für die Bierwerbung brauchte der Trainer nur leutselig von der Plakatwand herunterzuschauen.
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Jetzt sind die Grenzen dafür, was prominente Angehörige eines Fußballvereins so bewerben und wie sie es machen, weiter gezogen. Ein Kaufhaus und eine Modemarke lassen sich mit 'Offizielle Modeausstatter von (Name des Fußballvereins)' untertiteln. Und drei herausragende Spieler des Vereins illustrieren diese Liäson, indem sie sich vor der Kamera des/ der WerbefotografIn in Modellpose werfen. Das ganze Plakat wird am Ende dominiert vom Schriftzug STYLE VORLAGE. (Ich kann schweigen.)
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Werbeplakat für einen Cremepudding
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Auch bei diesem Plakat sind Grenzen verschoben worden: Es steht in dieser Werbung nicht mehr nicht der 'Nährwert' eines Lebensmittels im Mittelpunkt, sondern das, was der Konsum des Produkts in der Seele, des/ der Konsument/in auslösen soll. Diese Verschiebung zeigt sich auch schon in der Gestaltung der abgebildeten Verpackung. Nicht mehr die sachliche Bezeichnung 'Cremepudding' ist im wahrsten Sinne des Wortes 'großgeschrieben', sondern das Wort, das ausdrückt, was das Produkt in der Seele erzeugen soll: Wärme.
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Es handelt sich auch nicht mehr um eine Portion Cremepudding, sondern so eine weitere Aufschrift auf dem Beutel um '1 Portion Gemütlichkeit'. In welche Richtung das Empfnden des/ der Konsument/in gelenkt werden soll deutet der Text am unteren Rand des Beutels an: Die Werbung verspricht, durch den Verzehr des Puddings könne sich der Mensch an einem Tag mit Zumutungen (so verstehe ich die Aussage 'Was für ein Tag.') wieder 'Wie früher als Kind' fühlen.
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Vgl. auch:
Fundsachen 19 über Fußball und Bierwerbung
Foto-Notizblock: 'Wahl oder (-)Freiheit oder (-)Kampf' in der Werbung
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Freitag, den 27.12.2019
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