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Nr. 5/2021, Bremen, den 5.3.2021, Nr. 569,   19 Jahre kleinmexiko.de: Danksagung

Werbung in Pandemie-Zeiten (1)

        
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Ich sagte es schon: Das eigentliche Thema dieser Website ist die Erforschung der Beschaffenheit von Wahrnehmung. Es dürfte fast jede/r Mitbürger/In wahrgenommen haben, dass die herrschende Virus-Pandemie viele Menschen angeregt hat, sich durch ein ins Fenster gehängtes Plakat, ein auf dem Grundstück aufgestelltes Schild, ein am Haus befestigtes Transparent oder ähnliches der Öffentlichkeit mitzuteilen, auch des Sinnes, die Mitwelt möge in der bekannt schwierigen Situation niemanden vergessen ''mitzunehmen''.

  Irgendwann ist die Sorge um das Wohl der Mitmenschen, sei sie nun direkt pandemiebezogen oder eher allgemein wolkig in die Werbewelt eingedrungen. Die folgenden drei Beispiele sind durchaus als Steigerung zu verstehen vom eben mehr allgemeinen Hinweis darauf, dass menschliches Miteinander in der gegenwärtigen Zeit dringlich sei, bis zu Aufrufen, bestimmten Gruppen der Gesellschaft, die durch die Pandemie in Not geraten sind, auf eine von den werbenden Firmen vorgeschlagenen Art und Weise beizustehen.


Plakat mit Foto einer alten Frau, die leicht lächelt
Plakat mit Foto einer alten Frau, die leicht lächelt

Dieses Plakat zeigt das Foto einer alten Frau, die leicht lächelt. Sie schaut das gedachte Publikum nicht an, sondern mit durchaus wachem Blick leicht an ihm vorbei. Sähe diese Frau das Publikum an, würden die BetrachterInnen einen wachen, womöglich interessierten Blick auffangen. Die Haare sind grau bis weiß. Das Gesicht ist sehr faltig. Die Lippen sind auffällig geschminkt. Die Kleidung, soweit sichtbar, ist gepflegt.

Dieses Foto ist mit dem Satz ''Jedes Leben ist wertvoll.'' gekoppelt. Es stellt sich die Frage, warum dieses Foto mit jenem Satz in Verbindung gebracht wurde. Soll das Leben der dargestellten Frau Beispiel für ''jedes Leben'' sein, das ''wertvoll'' ist? Eigentlich ist nach hiesigem Moralverständnis ohnehin jedes Leben wertvoll und nicht wertlos, menschliches Leben ohnehin (von Massentierhaltung, Schlachthöfen oder pflanzlichen Monokulturen wollen wir hier mal nicht reden).

Die Frau ist für mein Gefühl eher ein Beispiel dafür, dass alte Menschen noch – salopp gesagt – ''flott'' sein können. Und ''flott'' ist werbetauglich. Was aber ist mit den alten Menschen, die nicht mehr ''so flott'' und werbetauglich sind? Der Autor hat in der Vergangenheit schon mutwillig einen Blick in die Welt der Menschen geworfen, die pflegebedürftig und vielleicht nicht mehr ganz so ''flott'' sind. Er weiß also, wovon er schreibt.

 
Die dargestellte Frau ist wohl eher ein Beispiel dafür, dass es Menschen gibt, die auch im reiferen Alter durchaus wach genug und damit imstande sind, den in der offenbar unvermeidlichen zweiten Person gehaltenen Imperativ im Kleingedruckten dieses Plakates aktiv auszuführen: ''achtetaufeinander''. Was nicht ausschließt, dass ein solch ''flotter'', alter Mensch nicht doch einmal plötzlich der Aufmerksamkeit anderer bedürfte. Auch könnte die Dame im Rollstuhl sitzen, ohne dass wir es sehen. Aber entscheidend ist erst einmal die Anmutung, die das Bild ohne weiteres erzeugt.

Ein Hersteller eines Lebensmittels hat dieses Plakat herausgebracht. Das erfahren wir aber nur durch einen Schriftzug, der quasi als Unterschrift unter die jetzt hinlänglich bekannte, moralische Parole gesetzt ist. Der Schriftzug nennt den Markennamen des Lebensmittels, dem unten rechts wiederum der Schriftzug ''Alles Veggie'' angefügt ist. Was dieses ''Alles Veggie'' heißt, wird nicht erläutert. Man kann rätseln. Soll das nun zum Beispiel heißen, dass das besagte Lebensmittel vegan oder vegetarisch ist? Ich weiß es nicht. Jedenfalls klingt es gut, auch im Kontext von ''Jedes Leben ist wertvoll.''. Wie auch ''Jedes Leben ist wertvoll.'' im zeitlichen Kontext einer Pandemie gut klingt.

Plakat, das ein Lebensmittelhersteller herausgebracht hat
Plakat, das ein Lebensmittelhersteller herausgebracht hat

Schon ausdrücklicher auf den Kontext der Pandemie bezieht sich dieses Plakat, das ebenfalls ein Lebensmittelhersteller herausgebracht hat. Dieses Lebensmittel zeichnet sich durch einen hohen Gehalt eines Vitamins aus, das die Widerstandskräfte des Menschen gegen Infektionen stärkt.Der Buchstabe, mit dem dieses Vitamin gemeinhin bezeichnet wird, ist Teil des Markennamens und wird unübersehbar groß den Slogans hinterlegt, die da lauten: ''BLEIBT GESUND./BLEIBT ZU HAUSE./BLEIBT STARK.'' Auffällig bei diesen Parolen ist die konsequente Anwendung der zweiten Person und des Imperativs.



 
Diese Slogans rücken dem Publikum grammatisch schon ziemlich nahe auf den gedachten Pelz. Fehlt nur noch das Ausrufezeichen. Aber ein Punkt tut es auch. Punkt. Na, der Punkt tut es doch noch nicht ganz. Zur Sicherheit wird der Imperativ ''BLEIBT ZU HAUSE.'' noch einmal auf Englisch und als Verweis auf Internetinformationen nachgeschoben ''STAYATHOME'' Und am Ende wird dann wohl jede/r begriffen haben, welches Lebensmittel man nach Meinung des Herstellers in dieser Zeit zuhause vorrätig haben sollte.

Plakat, das ein Lebensmittelhersteller herausgebracht hat
Plakat, das ein Lebensmittelhersteller herausgebracht hat

Weiter gehts mit Lebensmitteln im bewährten Aggregatzustand: ''Trinken hilft.'' verkündet dieses Plakat, nicht ohne den obligatorischen Punkt. Wohl aber ohne den harten Imperativ. Denn: Niemand will gerne zum Helfen abkommandiert werden. ''Lasst uns gemeinsam Alltagshelden aus Kultur und Gastro unterstützen, die wegen COVID-19 vor dem Aus stehen. Mit jeder verkauften Flasche: (es folgt eine produktbezogene Webadresse)'' klingt angenehm 'solidarischer' als ''Unterstützt Alltagshelden aus Kultur und Gastro …'' .   Es wird – natürlich in der obligatorischen Zweite-Person-Anrede – mit dem weichen Modalverb ''lasst'' an ein verbindendes ''uns'' (sprich ''wir'') appelliert. Wer wollte sich da auschließen, obwohl ''lasst uns gemeinsam … unterstützen '' ebenso imperativen Charakter hat wie ''unterstützt''? Nur ist der imperative Charakter etwas 'weichgespült' durch den sanften Druck eines gedachten 'solidarischen' Wir. Meinen Respekt den Plakatmachern, die ja auch genau wußten, auf welches Milieu sie zielen, nämlich das Milieu, in dem ''Bio'' und ''Vegan'' zählt.



Vgl. auch:

Plakat zu Messe für alte Menschen

Leben. oder Überleben.?

Foto-Notizblock: 'Leben' in der Werbung (1/2)


 
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