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Nr. 2/2020, Bremen, den 24.1.2020, Nr. 540,   17 Jahre kleinmexiko.de: Danksagung

Leben. oder Überleben.?
Analyse eines Werbeplakats

        
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Ich sagte es schon: Das eigentliche Thema dieser Website ist die Erforschung der Beschaffenheit von Wahrnehmung. Die Botschaften der Werbung gerade im öffentlichen Raum müssen sich schon 'von Berufs wegen' in die Wahrnehmung drängen.

  Deshalb versucht der Autor dieser Zeilen immer mal wieder zu entschlüsseln, wie er etwa die Botschaften von Plakaten versteht oder auch nicht versteht.


Plakat in der Einfahrt zur Tiefgarage eines  Verbrauchermarktes
Plakat in der Einfahrt zur Tiefgarage eines Verbrauchermarktes

Aufnahmedatum des Fotos: 5.11.2019 ca. 15:00

Dieses Plakat habe ich in der Einfahrt zur Tiefgarage eines Verbrauchermarktes entdeckt. Als erstes ist mir wohl die Dreiklang-Parole 'Geben. Teilen. Leben.' aufgefallen. Vermutlich hat mich das leicht Holperige des Dreiklangs gestört. Geben. und Teilen. haben als zu ergänzendes Subjekt eindeutig den, der gibt und teilt. Das Wort Leben. schillert aber: Bezieht es sich darauf, dass die Empfänger der Gaben und die Nutznießer des Teilens (besser) leben können, oder darauf, dass Geber und Empfänger (besser) leben können? Oder es steht für das Substantiv Leben.? Bei letzterer Bedeutung könnte man den Dreiklang zum Beispiel so deuten: Geben. und Teilen. ist Leben.. Dagegen spricht der Punkt hinter Leben., denn Punkte schließen einen vollständigen Satz ab. Vollständige Sätze sind aber alle drei Punkt-Konstruktionen nicht. Leben. ist das noch am allerwenigsten, denn ein einfaches Substantiv allein ist kaum noch als vollständiger Satz zu verstehen. Geben. und Teilen. könnten mit viel gutem Willen zu vollständigen Sätzen erklärt werden, wenn man ihnen als Verben einen leicht imperativen Charakter unterlegt. Und schon kommt man vielleicht auf den Gedanken, dass die Punkte nur getarnte Ausrufezeichen im Sinne von Punkt! sein könnten.

Dass Geben. und Teilen. am Ende einen Dreiklang mit Leben. geben, ist auch inhaltlich wenigstens diskutierenswert. Es handelt sich hier um eine am inneren oder äußeren Rande des moralisch Imperativen angesiedelte Werbung. Man beachte die Ausrufezeichen. Die Werbung soll Kunden einer Verbrauchermarkt-Kette dazu bewegen, dass sie im Verein mit der Kette 'für nur 5 € die lokalen Tafeln unterstützen!' Tafeln sind gemeinnützige Organisationen, die Bedürftigen gespendete Lebensmittel zu kommen lassen.

Es geht für die Bedürftigen also auch wohl ein Stück weit um das 'Überleben'. Die Aufschrift auf der Tüte, die neben der Parole abgebildet ist, weist eher in Richtung Überleben als in Richtung Leben.: Gemeinsam Teller füllen/ Wir helfen vor Ort!. Wie aber klingt Geben. Teilen. Überleben.? Geben. Teilen. Leben. klingt einfach besser und hat nicht den Hauch von Dramatik und daraus eventuell abzuleitender Gesellschaftskritik, den Geben. Teilen. Überleben. hätte.

Nicht dramatisch, sondern optimistisch und beseelt von einer moralisch aufbauenden Perpektive klingt dann auch die 'denn'-Begründung für Geben. Teilen. Leben.: ... denn einander zu helfen, macht uns stark! Welche Art von Menschen in dieser Gesellschaft gemeinhin als stark gelten, möge sich die Leserschaft selbst überlegen.

Es sind auch noch Bilder da: Lesen wir von links nach rechts. Das Foto auf der äußersten Linken zeigt zwei Menschen im Stadium der reiferen Jugend. Das erkennt man an der Bart- oder Haarfarbe. Sie be-oder entladen einen Transporter mit Lebensmitteln. Ob die beiden MitarbeiterInnen der Verbrauchermarkt-Kette oder einer Tafel sind, ist nicht klar erkennbar – auf dem Schwarz/ Weiß-Foto.

Alltagswissen kann erst einmal weiterhelfen. Die Tafeln haben eigene Fahrzeuge, mit denen sie Lebensmittel transportieren. Dass MitarbeiterInnen einer Verbrauchermarkt-Kette beim Einladen Hand mitanlegen, ist nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Schließlich werden sie die gespendeten Waren schon wenigstens vorsortiert und wohl auch eingepackt haben. Ob der Verbrauchermarkt darüberhinaus Arbeitszeit für das Einladen spendet, ist eher unwahrscheinlich.
 
Das Foto rechts neben dem äußerst rechten zeigt einen weiteren 'Graukopf', der eine einschlägige Kiste schleppt. Er trägt ein T-Shirt, von dessen Aufschrift ...BURGER/ _ E.V. zu entziffern sind. Darüber sind das Symbol eines Hamburger Stadttores und ein Teil eines kreisrunden Symbols zu sehen, das einen Teller mit Besteck darstellen könnte.

Detail: Ausschnitt aus den beiden Fotos auf der linken Seite
Detail: Ausschnitt aus den beiden Fotos auf der linken Seite

Die Farbversion des Fotos gibt weitere Indizien für die oben angedeutete Arbeitsteilung zwischen Spender und Empfänger. Alle drei Grauköpfe tragen rote Westen.

Detail: Ausschnitt aus den beiden Fotos auf der rechten Seite
Detail: Ausschnitt aus den beiden Fotos auf der rechten Seite

Diese rote 'Uniform' ist von der (blau)grauen Arbeitsbekleidung der Spenderfirma, die der junge Mann mit dunklem Haar auf dem Foto ganz rechts trägt, deutlich unterschieden. Die Personen, die auf dem dritten Bild von links zu sehen sind, dürften ebenfall TafelmitarbeiterInnen sein. Es ist zwar nicht völlig auszuschließen, dass MitarbeiterInnen des Verbrauchermarktes die gespendeten Lebensmittel in den Räumen des Marktes mit dem Messer bearbeiten, wie die abgebildete Frau es tut, aber wahrscheinlich ist es nicht. Somit sind die abgebildeten MitarbeiterInnen der Tafel überwiegend Angehörige der reiferen Jugend.

Die direkte Gegenüberstellung von Spender und EmpfängerInnen spiegelt aber dieses Verhältnis von Alt und Jung gerade nicht wieder. Der relativ junge Vertreter des Verbrauchermarktes übergibt die Tüte mit den gespendeten Lebensmitteln einer relativ jungen Vertreterin der Tafeln. Aus der Tüte schauen – soweit mir erkennbar – ausschließlich Waren hervor, die die der betont preiswerten Eigenmarken-Linie der Verbrauchermarkt-Kette angehören.

Detail: Ausschnitt aus dem Foto ganz rechts
Detail: Ausschnitt aus dem Foto ganz rechts

Ganz links ist die Warenbezeichnung 'Spaghetti' erkennbar.

Und jehetzt, liebe Leute, habe ich genug von diesem Plakat.


Vgl. auch:

Foto-Notizblock: Armut in der Bremer City sichtbarer (1)

Foto-Notizblock: Armut in der Bremer City sichtbarer (2)

Fotonotizblock: Arme in Bremer City unsichtbarer (1)

Foto-Notizblock: 'Leben' in der Werbung (1/2)

Werbung in Pandemie-Zeiten (1)



 
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