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Nr. 16/2021, Bremen, den 6.8.2021, Nr. 580, 19 Jahre kleinmexiko.de: Danksagung

Entgrenzungen an der Mülltonne

        
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Symbolbild: Mülltonnen
Symbolbild: Mülltonnen

Es gibt alltägliche Situationen, in denen ich mich und andere Menschen so richtig mit allen uns innewohnenden Widersprüchen und unausleuchtbaren Untiefen kennenlerne. So zum Beispiel neulich bei einem meiner Morgenrundgänge: Ich sah, wie eine Frau in der Nachbarschaft eine Mülltone nach der anderen inspizierte und in manchen herumwühlte. Ich fragte sie, was sie da macht und sagte ihr, sie möge das lassen. Kaum hatte ich das gesagt, wurde ich von Leuten, die in der Nähe waren, angeschrien in dem Sinne: Was ich da mache? Ich würde die Frau, die sich durch Mülltonnenstöbern schon selbst demütigt, noch mehr demütigen. Ich antwortete, dass der Müll das Eigentum der Mülltonnenbefüller sei und durch die Abholung in das Eigentum des Entsorgers übergehe. Die Antwort der Umstehenden: Das sei wertloser Müll. Ich sei krank im Kopf. Während des Wortwechsels hatte die Frau sich schon stumm entfernt.

Später versuche ich 'aufzuräumen'. Gemäß dem Satz, dass in jedem Deutschen ein Polizist steckt, habe ich mich wie ein solcher verhalten, also in gewisser Weise als Privatperson anmaßend und autoritär. Freilich ist es aber auch tatsächlich so, dass Müll bis zum Augenblick der Abfuhr Eigentum der TonnenbefüllerInnen ist. Und Entnahme von Dingen aus der Tonne also Diebstahl. Eine andere Frage ist, ob ich den Diebstahl verhindern muss.

Warum aber habe ich versucht, Polizei zu spielen? Einer der Gründe war, dass ich es weniger Diebstahl als eher eine Grenzüberschreitung finde, wenn jemand im privaten Müll anderer Menschen herumwühlt.
  Gegen diese Grenzüberschreitung habe ich protestiert. Ob dieser Protest nun seinerseits eine Grenzüberschreitung war? Diese Frage ist mit den Kategorien 'Recht' oder 'Unrecht' kaum zu beantworten.

Erst mit einigem Abstand ist mir klar geworden, dass dieser Vorfall einen Vorvorfall und einen Vorvorvorfall hatte. Halbbewußt hatte ich an dem Morgen die Frau wiedererkannt und zwar in der Hauptsache an ihrer Kleidung. Diese Kleidung sah aus wie die von Menschen, die im öffentlichen Raum aufräumen und vielleicht auch Grün pflegen. Bei dieser ersten Begegnung am hellen Tage hatte ich der Frau etwas gegeben, was ich entbehren konnte. Danach traf ich sie einige Zeit später wieder am hellen Tage und sogleich forderte sie von mir, dass ich ihr wieder etwas geben solle. Als ich mich weigerte, beschimpfte sie mich. So hatte sie sich mir eingeprägt. Eine Tasche oder ähnliches, in der sie ihre eventuellen 'Fänge' aus Mülltonnen hätte verstauen können, hatte sie bei unserer letzten Begegnung nicht dabei.

Als ich dies schrieb, fiel mir ein Zitat aus 'Der Sozialismus und die Seele des Menschen' ein: ''Man sagt uns oft, die Armen seien für Wohltaten dankbar. Einige von ihnen sind es ohne Frage; aber die besten unter den Armen sind niemals dankbar. Sie sind undankbar, unzufrieden, unbotmäßig und aufsässig. Sie haben ganz recht, so zu sein.'' Dazu sei angemerkt, dass Wilde seine Gesellschaftskritik vor der Veröffentlichung dieses Essays nicht selten etwas sanfter in Märchen kleidete.

vgl. auch:

Neues aus dem Viertel (2): Von Armut und Bettelei

Neues aus dem Viertel (3): Von Armut und Bettelei

Begegnungen 2

 
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am Freitag, den 20.8.2021

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