Ich sagte es schon: Das eigentliche Thema dieser Website ist die Erforschung der Beschaffenheit von Wahrnehmung. Es dürfte fast jede/r Mitbürger/In wahrgenommen haben, dass die herrschende Virus-Pandemie viele Menschen angeregt hat, sich durch ein ins Fenster gehängtes Plakat, ein auf dem Grundstück aufgestelltes Schild, ein am Haus befestigtes Transparent oder ähnliches der Öffentlichkeit mitzuteilen.
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Einige Produkte dieses sich fast epidemisch ausbreitenden Mitteilungsbedürfnisses hat der Autor dokumentiert und sich ein wenig genauer angesehen. Erste Ergebnisse dieser genaueren Betrachtung hatte er zum 1. Mai und am 29. Mai veröffentlicht. Im Blickpunkt der Analysen stand der Umstand, dass die Transparente Verweise auf das Internet enthielten, denen man nachgehen musste, um die Plakate zu verstehen.
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Politisches Transparent zur Solidarität mit nicht näher bestimmten Abgehängten
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Auch dieses selbstgemalte Plakat leidet unter dem Mangel, ohne Internetreferenzen kaum angemessen verständlich zu sein. Völlig ausgeschlossen aus dem Kreis der 'VersteherInnen' des Plakates ist aber ein Mensch, der keinen Internetzugang und möglicherweise wenig Englischkenntnisse hat. Zu diesen Menschen könnten gerade jene in der Stadt gehören, die man mit etwas gutem oder bösem Willen zu denen zählen könnte, auf die sich die Botschaft des Plakates bezieht.
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Wenn man von jemandem sagen kann 'there is no Home' für ihn oder sie, dann ist dieser Mensch 'homeless', sprich obdachlos, und muss im schlimmsten Falle 'Platte machen', d.h. im Freien schlafen, kann also nicht durch 'STAYHOME' allen möglichen Übeln, incl. Infektionen, entfliehen. Diese Menschen sind abgehängt, left behind.
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Aushang am 'Szenetreff' der Wohnungslosenhilfe (Stand: 27. April 2020)
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Und da fällt mir natürlich ein, dass ich in dieser Kolumnenreihe gerade ein langfristiges Beobachtungsprojekt durchführe, in dessen Brennpunkt ein vor einigen Monaten eingerichteter 'Szenetreff' steht, der von der 'Wohnungslosenhilfe' der Inneren Mission betrieben wird. Da wird man einen schmalen Blick, quasi wie durch eine Zaunritze, auf die Szenerie werfen können, in der versucht wird, zu verhindern, dass Wohnungslose von der Gesellschaft im Sinne von 'LeaveNoOneBehind' völlig abgehängt werden. Der letzte Bericht datiert vom 16. März. Er enthält eine Analyse der letzten Aushänge am Tor des Szenetreffs.
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Der letzte Aushang wurde am besagten 16. März dokumentiert. Er enthält im Wesentlichen die Mitteilung, dass der Szenetreff vorerst bis zum 31. März des Jahres geschlossen sein wird. Am 27. April war ich wieder an dem Tor. Der Aushang, der die vorläufige Schließung bis zum 31. März verkündete, war immer noch nicht abgehängt worden. Ein neues Datum, an dem die vorläufige Schließung enden könnte, ist in den fast vier Wochen seit dem 31. März offenbar per Aushang nicht verkündet worden. Wer also am 27.April vor dem Tor stand, durfte sich auf dem Kommunikationskanal 'Aushang' doch etwas 'abgehängt' fühlen, so auch ich.
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Politischer Aufkleber zu griechischen Flüchtlingslagern und Corona-Pandemie
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Doch vom Aushang zurück zur 'Parolen-Seuche'. In der Nähe unseres Hauses habe ich am 12.Mai einen schmalen Zettel dokumentieren können, der mir die Zielrichtung offenbarte, die wohl von den meisten 'Nutzern' der Parole 'LeaveNoOne Behind' angestrebt wird: Nicht die hiesigen Obdachlosen sind gemeint, sondern die Menschen, die auf griechischen Inseln als Flüchtlinge zwar nicht unter freiem Himmel, aber doch unter sehr elenden Verhältnissen in Zelten und Behelfsbehausungen dichtgedrängt zusammenleben, ein angesichts der grassierenden Pandemie ein unmittelbar lebensgefährdender Zustand.
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Die ZettelkleberInnen engagieren sich für die Evakuierung dieser Menschen, ohne allerdings auf dem Zettel anzugeben, wohin die Leute denn nun gebracht werden sollen.
Konkreter ist da dankenswerterweise schon das, was die AutorInnen vorschlagen, um die Forderungen ihrer Parole in die Tat umzusetzen. Sie haben ihre Vorschläge auf einem Abreißzettelchen zusammengefasst, den man als 'Hausaufgabenzettel' mit nach Hause nehmen kann. Dieses Abreißzettelchen ist im folgenden Bild dokumentiert:
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Abreißzettel an obigem politischen Aufkleber
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Die vorgeschlagenen Aktionen richten sich eindeutig an Menschen, die mit dem Internet umzugehen wissen.
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Eine Website und soziale Medien sind als Informationquellen und Materialquellen genannt.
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Neuer Aushang am 'Szenetreff' der Wohnungslosenhilfe (Stand: 23. Mai 2020)
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Der Aushang am Szenetreff, den ich am 16. März und 23. April 2020 dokumentiert habe, ist gegen einen neuen ausgetauscht worden. Es wird jetzt mit einem schmucklosen Satz festgestellt, dass 'der Szenetreff am Bahnhof (...) bis auf Weiteres geschlossen (bleibt).'
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Ferner wird bekanngegeben, dass die Toilette am Treff 'von Montag - Freitag von 10 - 12 Uhr geöffnet' ist. Man kann anfangen, darüber nachzudenken, an wen sich dieses Angebot richten mag.
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23. Mai 2020, 7:40 Uhr: Drei Obdachlose (horizontal in der Bildmitte) lagern vor den Einrichtungen der Bürgerpark-Tombola auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz.
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Auf dem Rückweg vom geschlossenen 'Szenetreff' habe ich noch eine 'Runde' über den Bahnhofvorplatz gedreht. Dabei fielen mir drei Schlafsäcke auf, die vor den Buden der Bürgerpark-Tombola bzw. der Rampe mit einem Auto lagen. Ich habe mich einem Schlafsack genähert.
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Aus einem schmalen Schlitz zwischen Schlafsack und Basecap blickten mich zwei Augen an. Ich habe die Person, der das Augenpaar gehörte, gefragt, ob sie schon die ganze Nacht hier unter freiem Himmel gelagert habe. Die Antwort: 'Ja.'
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Vgl. auch:
Parolen (32)
Parolen-Seuche (1)
Parolen-Seuche (2)
Bitte werfen Sie auch einen Blick auf Charlie Dittmeiers kleinen Bericht vom 29. Juli 2018 über die Geschäftswelt im Zeichen der Corona-Pandemie in Phnom Penh.
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Freitag, den 10.7.2020
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