Ich sagte es schon: Das eigentliche Thema dieser Website ist die Erforschung der Beschaffenheit von Wahrnehmung. Eine wichtige Konstante der Feldforschung in der Großstadt ist, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass das, was man vor zwei Tagen noch wahrgenommen hat, heute noch Bestand vor Auge, Ohr und Nase hat. Also lautet das Motto 'Wieder besuchen!' Unter diesem Motto habe ich angefangen, ein eingezäuntes Fleckchen Erde am Bremer Hauptbahnhof zu erforschen.
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Die bisherigen Ergebnisse sind nachzulesen unter: Umbrüche (20), Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (1), Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (2), Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (3) Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (4) und Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (5).
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Neuer Aushang am 'Szenetreff' der Wohnungslosenhilfe (Stand: 23. Mai 2020)
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Am 23. Mai habe ich festgestellt, dass der Aushang am Szenetreff, den ich am 16. März und 23. April 2020 dokumentiert habe, gegen einen neuen ausgetauscht worden ist. Es wird jetzt mit einem schmucklosen Satz festgestellt, dass 'der Szenetreff am Bahnhof (...) bis auf Weiteres geschlossen (bleibt).'
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Ferner wird bekanngegeben, dass die Toilette am Treff 'von Montag - Freitag von 10 - 12 Uhr geöffnet' ist. An wen mag sich dieses Angebot richten?
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Neuer Aushang am 'Szenetreff' der Wohnungslosenhilfe (Stand: 13. August 2020)
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Am 13. August durfte ich dann feststellen, dass die Schmucklosigkeit des Aushangs, den ich am 23. Mai dokumentiert hatte, durchaus zu übertreffen ist. Jetzt heißt es einfach 'Derzeit geschlossen!' Statt des Punktes hinter 'geschlossen', den man im zuletzt dokumentierten Aushang noch gesetzt hatte, steht jetzt ein Ausrufezeichen.
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Die Toilette wird nicht mehr erwähnt. Erst beim zweiten Blick auf das Foto habe ich gesehen, dass vor dem Gitter, das den Treffpunkt zur Brücke abgrenzt, lose Pflastersteine liegen.
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Treffpunkt von Leuten, die nicht unbedingt in der Mitte der Gesellschaft stehen, auf einem Bahnsteig des Tram- und Busbahnhofs vor dem Hauptbahnhof
[M]: Gesichter verpixelt
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Unmittelbar nachdem ich am 13. August das Foto vom Aushang am Treffpunkt gemacht hatte, wurde ich Zeuge eines Zwischenfall an einem 'aktiven' Treffpunkt von Leuten, die nicht unbedingt in der Mitte der Gesellschaft stehen. Dieser Treffpunkt befindet sich im Bereich einer Bank auf einem Bahnsteig des Tram- und Busbahnhofs vor dem Hauptbahnhof. Zwei Männer aus der Gruppe, die sich an diesem Treffpunkt versammelt hatte, stritten sich handgreiflich. Einer der beiden hatte ein Gerät unter dem Arm, das man in meiner Generation als 'Ghettoblaster' diffamierte. Ziemlich unvermittelt artete der Streit aus. Der Mann mit dem 'Musikabspielgerät' wurde vom anderen auf die Schienen geschleudert. Die kostbare Unterhaltungselektronik ging zu Bruch. Der Mann stand ziemlich schnell wieder auf. Die Straßenbahn fuhr ein.
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Der Mann war sichtlich benommen und blutete am Kopf. Das hinderte ihn aber nicht, erneut auf den Gegner loszugehen. Glücklicherweise stellte sich eine Frau aus der Gruppe zwischen die Streithähne. Der verletzte Mann begann zu schreien: 'Ich ruf jetzt die Bullen! Nee, ich ruf jetzt die Bullen!' Der Streitschlichterin gelang es den erregten Mann von diesem Vorhaben abzubringen, indem sie ihn wortreich darauf hinwies, dass das wohl gegen den Ehrenkodex der Treffpunktbesucher verstoße.
Als ich dann später das obige Bild genauer betrachtete, sah ich, dass es es für den verletzten Treffpunktbesucher ziemlich einfach gewesen wäre, ohne viel Aufsehen die Leute zu rufen, die er 'die Bullen' nannte. Etwas rechts von der Bildmitte sah entdeckte ich im Hintergrund eine gelbe, schmale Säule, eine Notrufsäule.
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Ausschnitt (rechts von der Mitte) aus obigem Bild: Polizei-Notrufsäule
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Bei genauerer Betrachtung entdeckte ich auf dem Ausschnitt ein weiteres Detail.
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Hinter der Notrufsäule sieht man einen Arm mit einer Getränkedose (Bier?) hervorragen.
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Notrufsäule auf einem anderen Bahnsteig des Tram- und Busbahnhofs vor dem Hauptbahnhof
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Etwa elf Tage, nachdem ich die oben geschilderten Ereignisse beobachtet hatte, nahm ich zum ersten Mal bewußt eine solche Notrufsäule auf einem anderen Bahnsteig des Tram- und Busbahnhofs vor dem Hauptbahnhof wahr.
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Als ich dann später das Foto mit dem Treffpunkt auf dem anderen Bahnsteig bearbeitete, war mein Auge durch die Erinnerung an dieses Foto einer Notrufsäule so geschärft, dass sie mir eben auch auf dem Treffpunktfoto auffiel, obwohl sie nur klein, unscharf und im Hintergrund zu sehen war.
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Vgl. auch:
Foto-Notizblock: Armut in der Bremer City sichtbarer (1)
Foto-Notizblock: Armut in der Bremer City sichtbarer (2)
Umbrüche (20)
Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (1)
Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (2)
Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (3)
Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (4)
Wieder besucht: Neues aus dem toten Winkel (5)
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Freitag, den 16.10.2020
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